Eine Gerichtszeichnung von David P.

Foto: REUTERS/Vicki Behringer

Der Täter war besessen von wilden rechten Verschwörungsmythen über angeblichen Wahlbetrug, tödliche Covid-Impfungen und pädophile Lehrer. Doch kaum hatte David P. den 82-jährigen Ehemann von Nancy Pelosi, der mächtigsten US-Demokratin, mit einem Hammer fast totgeschlagen, wurde auch der brutale Anschlag durch Lügen und Mutmaßungen zynisch verdreht. Mal soll der Angreifer ein Stricher, mal ein heimlicher Liebhaber von Paul Pelosi gewesen sein.

Nichts davon ist wahr. "Es gibt absolut keine Hinweise, dass Herr Pelosi diesen Mann kannte", erklärte William Scott, der Polizeichef von San Francisco. Und der 42-jährige Verdächtige gab bei einer Vernehmung zu Protokoll, er sei "auf einer Selbstmordmission" gewesen. Offenbar wollte er Nancy Pelosi kidnappen und foltern. Auch plante er Angriffe auf weitere Politiker und einen Professor.

Die grauenhafte Tat und ihre bewusste Verzerrung werfen ein Schlaglicht auf das vergiftete politische Klima in den USA eine Woche vor den wichtigen Kongresswahlen. Obwohl das Parlament selbst am 6. Jänner 2021 Ziel eines blutigen Putschversuches gewesen war und die politisch motivierte Gewalt in dem polarisierten Land deutlich zunimmt, können sich führende Republikaner nicht einmal zu einer Verurteilung des Anschlags durchringen.

Republikaner witzeln

Zwar sei Gewalt der falsche Weg, witzelte der als gemäßigt geltende republikanische Gouverneur von Virginia, Glen Youngkin, mit Blick auf die Wahl: "Aber wir werden Nancy Pelosi zu ihrem Mann nach Hause in Kalifornien schicken." Donald Trump Junior, der älteste Sohn des Ex-Präsidenten, postete ein Foto von einer Unterhose und einem Hammer und schrieb dazu: "Ich habe mein Paul-Pelosi-Halloween-Kostüm bereitgelegt."

Laut Anklageschrift war David P. in der Nacht zum vergangenen Freitag mit zwei Hämmern, Kabelbindern, Klebeband und einem Seil im Rucksack in das Haus der Pelosis eingedrungen. Nach eigenen Angaben sah er die Überwachungskameras und wusste, dass er gefilmt wurde. Der Einbrecher weckte den schlafenden Paul Pelosi und fragte mehrfach: "Wo ist Nancy?" Der Ausspruch erinnert an den Schlachtruf der rechten Kapitolsstürmer, die auf der Suche nach der Sprecherin des Repräsentantenhauses marodierend durchs Parlamentsgebäude gezogen waren.

Nancy Pelosis Kniescheiben im Visier

"Ich habe die beschissenen kranken Lügen aus Washington satt", sagte der mutmaßliche Täter später der Polizei: "Ich bin gekommen, um eine kleine Unterredung mit seiner Frau zu haben." Laut Anklageschrift wollte er Nancy Pelosi, die zum Zeitpunkt der Tat rund 4.000 Kilometer entfernt in Washington weilte, entführen und ihr mit einem Hammer die Kniescheiben zertrümmern, damit sie im Rollstuhl ins Parlament fahren müsse: "Das wird anderen Abgeordneten zeigen, dass ihr Handeln Konsequenzen hat."

Zwar gelang es dem zwischenzeitlich gefesselten Paul Pelosi, von der Toilette einen Notruf abzusetzen. Doch als die Polizei eintraf, schlug ihm der Angreifer mit dem Hammer so fest auf den Kopf, dass der 82-Jährige in einer Blutlache liegend für drei Minuten das Bewusstsein verlor. Er musste notoperiert werden und hat nach Angaben seiner Frau einen langen Weg der Genesung vor sich.

Nach amerikanischen Medienberichten war David P. einst als Hippie nach Kalifornien gekommen, registrierte sich von 2002 bis 2009 als Wähler der Grünen und stellte Schmuck aus Hanf her. Dann scheint ihn eine Obdachlosigkeit aus der Bahn geworfen zu haben. Zuletzt hatte er zwar wieder einen Gelegenheitsjob, isolierte sich nach Angaben seines Arbeitgebers aber immer mehr, während er nachts rechte Verschwörungsmythen aufsog und tagsüber zunehmend von "dunklen Gedanken" geplagt gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft wertet die Attacke als "politisch motiviert" und wirft dem 42-Jährigen unter anderem versuchten Mord, Einbruch, Misshandlung und Freiheitsberaubung vor.

Zu wenig Sicherheitspersonal

In der aufgeheizten Endphase des Midterms-Wahlkampfes wirft der grausige Vorfall auch Fragen nach dem Schutz von amerikanischen Spitzenpolitikern auf. Nach einem Bericht der "Washington Post" wurde der Eindringling zwar von den installierten Überwachungskameras gefilmt. Doch saß bei der chronisch unterbesetzten zuständigen Kapitolspolizei niemand vor dem Monitor. Die Republikaner hatten im vorigen Jahr ihre Zustimmung zu einer massiven Aufstockung des Etats der Sicherheitskräfte verweigert. (Karl Doemens aus Washington, 3.11.2022)