Dean Josiah Cover alias Inflo, der Mann hinter dem Projekt Sault, auf einem raren Foto.

Spätestens seit den Zeiten, in denen wir alle häuslich wurden und das Internet beinahe ausgelesen, ausgehört und ausgeschaut haben, ist so ein anonymes Bandkollektiv natürlich eine Supersache. Keine näheren Informationen zum Bandprojekt, Musikkollektiv, Einzelunternehmen Sault. Unangekündigte und zeitlich nur limitierte, dafür aber gratis erhältliche Online-only-Veröffentlichungen, spärlich veröffentlichte physische Tonträger (Vinyl!) und dazu eine optische Gestaltung, die Richtung schwarze Schrift auf schwarzem Grund tendiert, wecken bei der geneigten Kundschaft den Jäger- und Sammlerinstinkt. Eine mitunter atemberaubend moderne wie historisch gut im Knistern von alten Vinylplatten aus den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren in der Black Music verankerte Sound-Vision machte Sault zu einem der spannendsten Acts im Pop der letzten Jahre.

Nun gibt es von Sault – nach hochgelobten und tatsächlich aus der Masse herausstechenden Soul-, Funk- oder R 'n' B und Trip-Hop vermählenden Veröffentlichungen wie 5, 7 oder Untitled, dem 2021 nur 99 Tage lang via Stream, Download oder als Vinyl erhältlichen Neo-Soul-Album Nine, der heuer bereits veröffentlichten orchestralen und leicht ins Schmalz gehenden Arbeit Air sowie zuletzt der erst vor einigen Wochen Reggae, Dub und Spoken Word verbindenden zehnminütigen Monstersingle Angel – seit 1. November gleich fünf neue Alben auf einmal zu bestaunen: 11, Aiir, Earth, Today & Tomorrow und (Untitled) God. Fünf Tage lang kann man die fünf Werke downloaden, dann werden sie wieder verschwinden. Schade, aber toll.

Sesam, öffne dich

Auf der Homepage sault.global kann man sie noch bis 5. November gratis downloaden. Man muss nur dort ein Password erraten, das man als fauler Willi natürlich längst auch ergoogeln kann. Ums Eck Gott und Liebe gleichzusetzen, die von Sault auf der Homepage als Hinweise für "Sesam öffne dich" gegeben werden, ist leider nicht jedem Christenmenschen gegeben.

Allspice

Hinter Sault verbergen sich diverse anonyme Studiomusiker. Der Kopf hinter dem Projekt ist allerdings mittlerweile bekannt. Dean Josiah Cover alias Inflo ist ein Londoner Musiker und Produzent. Die offensichtlich wirtschaftlich notwendigen Gewinne bezieht er als Produzent und Co-Autor etwa für die Rapperin Little Simz, Soulsänger Michael Kiwanuka und vor allem für Superstar Adele. Auf deren aktuellem Album 30 ist er mit drei Songs vertreten.

Woman Like Me, Hold On und vor allem Love Is A Game reißen nicht nur Adeles aktuelles Schaffen aus der Absehbarkeit ihres Tuns zumindest ein wenig heraus. Die dafür in bester Tradition etwa eines Marvin Gaye gehaltenen Orchesterarrangements behübschen nun auch das zwischen Vintage und Retro, Moderne und Hypermoderne sowie zwischen kratzendem und grammelndem Vinylplatten-Soul und Bling-Bling-R-'n'-B changierende Gesamtpaket von Sault. Nur Aiir ist dem diesbezüglichen symphonischen Vorgänger Air aus dem diesjährigen April verpflichtet. Earth schickt einen Chor nach Afrika und trifft auf beinahe kitschig klischeehafte "Polyrhythmik". Today & Tomorrow tut den Funk in den Tank und kommt sogar ein wenig rockig daher. Eine der wichtigsten Veröffentlichungen des Jahres. Das Internet ist wieder ein wenig nachgefüllt worden. (Christian Schachinger, 3.11.2022)