Ice-Cube ist der größte Teilchendetektor der Welt. Er sucht im Eis des Südpols, mehr als anderthalb Kilometer unter der Oberfläche, nach verräterischen Lichtblitzen, die auf Neutrinos aus fernen Galaxien hindeuten.
Foto: Icecube/NSF

Die Geschichte der Astronomie reicht tausende Jahre zurück bis in die Zeit der Sumerer. Doch bis vor kurzem musste sich die Forschung im Wesentlichen mit einer einzigen Informationsquelle begnügen: Licht in verschiedenen Wellenlängen.

Ab 2016 begannen dann in den US-amerikanischen Observatorien Ligo und kurz darauf bei deren europäischem Pendant Virgo die ersten Gravitationswellenmessungen, was zu Recht als Durchbruch für die Astronomie gefeiert wurde, weil es erstmals einen unabhängigen Kanal zur Gewinnung von Wissen über das Universum gab.

Doch im Schatten des Hypes um die Gravitationswellen, die bereits 2018 für Nobelpreise gut waren, verrichtete ein 2010 fertiggestellter Detektor am Südpol still seinen Dienst. Das Projekt der Superlativen besteht aus lichtempfindlichen Detektoren, die zwischen anderthalb und zweieinhalb Kilometer tief im Eis versenkt wurden, und zwar über ein Volumen von einem Kubikkilometer verteilt, was der Anlage ihren Namen gibt. Ice-Cube ist auf die Messung von kosmischen Neutrinos mit extrem hoher Energie ausgelegt. Diese flüchtigen Teilchen haben keine Ladung und kaum Masse, wodurch sie nur äußerst schwach mit der Materie wechselwirken, aus der wir und alles um uns besteht. Wolfgang Pauli, der sie einst postulierte, hielt sie deshalb für unentdeckbar. Gerade ihre Flüchtigkeit könnte sich nun als ihr größter Vorzug erweisen, wie neue Ergebnisse nahelegen, die nun im Fachjournal "Science" publiziert wurden. Neutrinos könnten sich als dritte Säule der Astronomie etablieren.

Die Basis dafür wurde in den letzten Jahren gelegt. 2013 gelang es erstmals, ein Neutrino mit einer extrem hohen Energie von 100 Teraelektronenvolt zu beobachten. Doch sein Ursprung lag im Dunkeln. Umso wertvoller war eine Beobachtung 2017, als ein weiteres hochenergetisches Neutrino einem Gammastrahlenausbruch eines Objekts namens TXS 0506+056 zugeordnet werden konnte, das zu den Blazaren gezählt wird. Dabei handelt es sich um extrem aktive Galaxienkerne, deren Aktivität vermutlich von enorm massereichen Schwarzen Löchern stammt. Erst die Bestimmung der Quelle der von Ice-Cube beobachteten Neutrinos erlaubt es, damit auch Astronomie zu betreiben.

Doch das genüge nicht, wie Francis Halzen, der Forschungschef von Ice-Cube, erklärt. "Ein einzelnes Neutrino ist ausreichend, um die Quelle zu bestimmen. Doch nur eine Beobachtung mit mehreren Neutrinos kann die energiereichsten kosmischen Objekte auch sichtbar machen."

Kein Licht kann entkommen

Nun gelang der nächste Schritt auf diesem Weg. Die Ice-Cube-Kollaboration konnte 80 kosmische Neutrinos nachweisen, die von der Galaxie NGC 1068 stammen, die auch als Messier 77 bekannt ist und von der Erde aus mit großen Feldstechern zu sehen ist. Sie ist wie die Milchstraße eine Balkenspiralgalaxie, wird aber von einem extrem aktiven Schwarzen Loch in ihrem Zentrum beherrscht, das millionenfach schwerer ist als unsere Sonne. Das Besondere an diesem Typ, der Seyfert II genannt wird: Das Zentrum ist von Staub verdeckt, der langsam ins Zentrum gezogen wird. Anders als Licht können Neutrinos diesem enorm dichten Bereich entkommen.

Die Balkenspiralgalaxie Messier 77 ähnelt auf den ersten Blick unserer Milchstraße. Ihr galaktisches Zentrum ist allerdings viel aktiver.
Foto: NASA, ESA & A. van der Hoeven

"Bisherige Modelle der Umgebungen von Schwarzen Löchern in diesen Objekten legen nahe, dass Gas, Staub und Strahlung in ihnen die Gammastrahlen blockiert, die normalerweise gemeinsam mit den Neutrinos dort entstehen", erklärt Hans Niederhausen von der Michigan-State-Universität. "Diese Neutrinobeobachtungen aus dem Kern der Galaxie werden unser Verständnis der Umgebungen supermassereicher Schwarzer Löcher verbessern."

"Standardkerze"

Die Forschenden sprechen davon, dass es mithilfe von Beobachtungen der Galaxie Messier 77 gelingen könnte, eine "Standardkerze" zu etablieren. Der Begriff ist für Entfernungsmessungen im All etabliert. Er wird für Objekte verwendet, deren Eigenschaften so gut bekannt sind, dass sie als Referenzpunkte verwendet werden können.

"Es handelt sich bei der Galaxie um ein astronomisch gut verstandenes Objekt. Mithilfe der Neutrinos können wir sie nun aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachten", sagt Theo Glauch von der Technischen Universität München. Ein genaues Verständnis der in Messier 77 erzeugten Neutrinos wird es künftig also erlauben, anderen kosmischen Neutrinos mehr Informationen über die Orte ihrer Entstehung zu entlocken. Wie schon bei der Gravitationswellenastronomie durchdringen Neutrinos mühelos Bereiche, die für Licht undurchsichtig sind, und können so Lücken im Verständnis kosmischer Objekte schließen.

Kosmische Neutrinos hinterlassen riesige Leuchtspuren von sogenannter Cherenkov-Strahlung im Eis. Die tief unter der Oberfläche liegenden Lichtsensoren können diese Blitze messen.
IceCube Neutrino Observatory

Die Galaxie wurde schon 2020 mithilfe von Ice-Cube untersucht, doch die nun veröffentlichten Ergebnisse bedeuten einen großen Fortschritt, der durch ein Update des Detektors und eine Neukalibrierung ermöglicht wurde.

Die Schwierigkeit, mit der Ice-Cube kämpft, lässt sich als Suche nach der Nadel im Heuhaufen beschreiben. Kosmische Strahlung, die laufend auf die Atmosphäre trifft, erzeugt große Mengen von Neutrinos, die von Ice-Cube detektiert werden. Sie sind aber von geringem Interesse. Es sind Signale, die jene der eigentlich interessanten kosmischen Neutrinos überlagern.

Mithilfe der künftig zu erwartenden Neutrinobeobachtungen könnte auch Licht in die jahrhundertealte Frage nach dem Ursprung der kosmischen Strahlung gebracht werden. Wobei es nicht Licht sein wird, das neue Einsichten erlaubt, sondern einzelne Neutrinos, die von weit her kommen. (Reinhard Kleindl, 4.11.2022)