Tobias Moretti kämpft in "Das Netz – Prometheus" mit seiner Vergangenheit und seinem moralischen Kompass.

Foto: ARD Degeto/Servus TV/MR-Film/Das

Tobias Moretti ist Georg Trotter. Ein Ex-Fußballer und gefürchteter Dopingjäger, der später als Arzt in einer Klinik arbeitet, wo Fußballer genetisch optimiert werden. Die ersten zwei Folgen auf Servus TV erreichten im Schnitt 130.000 Leute. Auf Servus On sind bereits alle Episoden verfügbar, ab 17. November in der ARD.

STANDARD: Was bedeutet Fußball für Sie? Als Tiroler hatte man es in den letzten Jahren ja nicht unbedingt leicht, wenn man etwa an FC Wacker Innsbruck denkt.

Moretti: Ja, ich habe damals mitbekommen, wie Wacker ungerechterweise in die zweite Liga versetzt wurde. Mein Fußballinteresse erwacht aber eigentlich erst wirklich bei den großen Wettbewerben, also Europa-, Weltmeisterschaften oder der Champions League. Mich fasziniert das Mannschaftsphänomen, wie all diese Drüber-Individualisten sich doch in ein Spielgefüge irgendwie einordnen. Wenn's drauf ankommt, gibt's ein Ziel. So sind die Spielregeln.

STANDARD: Können Sie die Faszination, die dieser Sport auf manche ausübt, nachvollziehen?

Moretti: Ja sicher, auch wenn ich selber eher im Alpinen und im Motorsport daheim bin. Aber ein perfektes Tiki-Taka-Spiel macht einfach Freude beim Zuschauen, weil man nie dahinterkommt, wie die Konstellationen sich blitzschnell verändern.

STANDARD: Hat die Arbeit für "Das Netz" Ihr Verhältnis zum Weltfußball beeinflusst oder verändert?

Moretti: Es ist uns ja eigentlich allen klar, dass es ein gigantisches Business ist, und man kann sich vorstellen, dass es da entsprechend zugeht. Es stößt uns dort vielleicht deshalb besonders übel auf, weil der Fußball für viele so was wie eine soziale Bindung und Identität bedeutet. Es ist ein Phänomen, wie dieses Gefüge von Verein, Fans und Spielern ineinandergreift. Die Fans akzeptieren zum Beispiel, dass die Spieler mit einem astronomischen Marktwert gehandelt werden. Aber wenn dann noch irgendwelche Machenschaften dazukommen, nimmt man ihnen das Spiel weg.

STANDARD: Schauspielkollegin Birgit Minichmayr wünscht sich einen Boykott der Fußball-WM in Katar. Wie denken Sie darüber?

Moretti: Ich versteh das, mir geht das ähnlich, aber müssten wir dann nicht auch den Handel mit Katar boykottieren? In diesen Zeiten ist das schwierig und die Durchführbarkeit etwas naiv gedacht. Aber wir werden wenigstens drauf aufmerksam, in welche komplexen Abhängigkeiten wir verstrickt sind. Und das geht weit über den Fußball hinaus.

STANDARD: Glauben Sie, dass die Serie im Vorfeld der WM in Katar Bewusstsein für die dunklen Seiten des Fußballs schaffen kann?

Moretti: Ja, auch, natürlich. Das ist ja kein neues Terrain. Erinnern wir uns an Brasilien.

STANDARD: Sie spielen einen Dopingjäger, der Bluthund genannt wird. Ist Doping auch in der Schauspielkunst ein Thema, wenn es um Leistung und Leistungssteigerung geht?

Moretti: Da weiß ich jetzt nicht genau, was Sie damit meinen. Den Cocktail kenn ich noch nicht, der einen für die Bühne zugleich physisch und intellektuell fit macht, dabei sensibel und verletzlich und reagibel auf der Bühne und im Ensemble. Spritzen oder schlucken?

STANDARD: Was macht für Sie den Reiz Ihrer Serienfigur aus?

Moretti: Mich hat die Situation der Figur und das Schicksal dieses Paares George und Diana gepackt: Jäh aus allem gerissen, fightet er sich durch sein Leben, gibt diese Liebe nicht auf, gleichzeitig steckt er beruflich in einem korrupten System wie in einem Schraubstock. In diese völlige Perspektivlosigkeit bricht dann dieses Angebot hinein, wie ein deus ex machina. Was er noch nicht weiß, ist, dass es ein diabolus ex machina ist.

STANDARD: In "Prometheus" geht es auch um den Wunsch nach ewigem Leben. Eine reizvolle Vorstellung?

Moretti: Das Leben bekommt seine Bedeutung nur durch seine Endlichkeit. Alles ist kostbar, weil es vergänglich ist, weil es einmalig ist und unwiederholbar. Diese Entwicklung unserer von der Konsumierbarkeit bestimmten Welt – egal ob Schönheit oder Lebensverlängerung oder Optimierung von Leben – ist eine gespenstische, letztlich eine Horrorvorstellung.

STANDARD: Neben den dunklen Seiten des Fußballs dreht sich die Serie auch um die dunklen Seiten der Medizin. Wo gibt es Parallelen?

Moretti: Hier geht es nicht um eine Medizin, die heilt und Leben rettet, sondern um einen prometheischen Wahn, man könnte den – gesunden – Menschen so weit optimieren, dass der Tod in weiteste Ferne rückt und für eine unabsehbare Zeit noch überwunden werden kann. Das Ergebnis kann man sich vorstellen, das hat keine faustischen Dimensionen mehr, denn in so einer Welt werden es dann die Kardashians und die Lugners, die uns mit ihrer Unendlichkeit beglücken und zernichten. Und wer wird davon profitieren? Denn in der Folge wird das automatisch zum Problem globaler Gerechtigkeit. Werden die einen die Organbanken für die anderen?

STANDARD: Dietrich Mateschitz ist gestorben. Hatten Sie im Zuge des Serienprojekts oder sonst jemals mit ihm persönlich zu tun? Und wie haben Sie ihn wahrgenommen?

Moretti: Das letzte Mal habe ich Didi Mateschitz, glaube ich, vor drei Jahren am Red-Bull-Ring gesehen. Während des Drehs habe ich nichts von ihm gehört. Ich habe ihn in Erinnerung als unglaublichen Motivator und Menschen, der in Ideen und junge Menschen viel investiert hat.

STANDARD: Macht es einen Unterschied, ob Sie etwa für den ORF oder Servus TV vor der Kamera stehen? Etwa bei den finanziellen Mitteln, die zum Einsatz kommen?

Moretti: Sowohl im deutschsprachigen Raum als auch international gibt es grundsätzlich Kooperationen, ob das nun ZDF, Netflix, ARD mit ORF oder Servus oder Beta ist. Produktionsalleingänge gibt es kaum bei größeren Projekten.

STANDARD: In welchen Serienkosmos taucht Tobias Moretti ab, wenn er fernsieht? Welche Serien interessieren Sie?

Moretti: Ich bin überhaupt kein großer Fernseher, aber zumindest in den letzten zwei, drei Jahren gab es bei Netflix schon ein paar interessante, schräge Produktionen, die sich gegenseitig fast überholen. Das ist schon faszinierend, allerdings auch beängstigend, wenn man bedenkt, dass es kaum ein Zurück mehr gibt. Wie wirkt sich das auf unsere öffentlich-rechtlichen Sender aus und dergleichen? Finanziell kann man da ja nicht mithalten, nur seine Position als Kulturträger stärken. Das muss politisch auch mitgetragen werden.

STANDARD: Diverse Streamingdienste produzieren auf Teufel komm raus. Sind das gerade die goldenen Zeiten für Schauspielerinnen und Schauspieler?

Moretti: Inflationszeiten sind nie goldene, denn die Rechnung kommt. (Astrid Ebenführer, Oliver Mark, 4.11.2022)