Endlich heiter gelassen: Romancier Martin Mosebach.

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Nicht jedermann besitzt die Begabung, sein Leben auf der Stilhöhe einer Thomas-Mann-Figur zu verbringen. Dem Verleger Ruprecht Dalandt, einem ebenso wohlhabenden wie besonnenen Schöngeist Mitte Sechzig, scheint dieses Kunststück tadellos zu gelingen. Die Schriften, die Dalandt unter reger Anteilnahme seiner Subventionsgeber in den Druck befördert, gleichen Kommentaren: Nachschriften zu einer Kultur, die andere an seiner statt hervorgebracht haben.

Der Held in Martin Mosebachs neuem Roman Taube und Wildente verwaltet stets nur die Errungenschaften anderer. Das Haus in der Provence hat Gattin Marjorie in die erkaltete Ehe eingebracht; es ist die steingewordene Frucht von im Kongo begangenen, kolonialen Gräueln. Den ganzen Stolz dieser vermögenden Spießer aber bildet die familieneigene Kunstsammlung. An ihren mitunter diskreten Reizen stärkt vor allem Dalandt seinen, wie mindestens er selbst meint, eminenten Kunstsinn: vornehmlich an einem Jagdstillleben mit Titel Taube und Wildente (1884) eines gewissen (verbürgten) Otto Scholderer.

Auch für diesen, nicht weiter hochbedeutsamen Genre-Schinken gilt eisern das nämliche Prinzip: die törichte Feier von allem, was abgelebt, uneigentlich, mithin bloß "sekundär" (George Steiner) ist. Selbst die unziemliche Beziehung zur eigenen Stieftochter taugt für den distinguierten Dalandt nicht zur Zerknirschung.

Was Mosebach (71), ein Fabulierer mit Hang zum abgespreizten kleinen Finger, geradezu satirisch überhöht, ist die Unfähigkeit, sich von Umständen und Ereignissen mitreißen zu lassen. Sein Alter Ego schafft es einfach nicht, den eigenen Wohlstandsverwerfungen Tragik abzupressen, oder ihnen eminenten Sinn zu verleihen.

Ansichten nach Cezanne

Immerhin betrügt auch Marjorie ihren Ruprecht: mit einem zerknautschten Briten, der das provencalische Pförtnerhaus hütet und für asiatische Touristen Cezanne-Ansichten des Mont Sainte-Victoire mit dem Liebhaberpinsel nachkleckst.

Füreinander haben Mosebachs Figuren vornehmlich Kalenderweisheiten parat: Gedankenfutter aus dem Glückskeks, das sie einander wohldosiert verabreichen. Nur in den sozialen Randzonen, im Umgang mit Gästen und Bediensteten, wird eine zutiefst skandalöse Überheblichkeit spürbar. Lieber sitzt man sommers, vom Fenchel umduftet, in der staubtrockenen Macchia und sieht der Katze dabei zu, wie sie engelsgeduldig, voller Anmut, eine Zikade meuchelt.

Mosebachs Eheroman, ein kleiner Glücksfall der Charakterisierungskunst, handelt vom Tiefstand der Sonne: Selbst Zwerge aus dem Frankfurter Westend werfen plötzlich lange Schatten. Einen Essay über Dante würde Dalandt, derweil ihm der eigene Verlag unter den Fingern zerrinnt, noch liebend gerne schreiben. Billiger will es dieser Kleinfürst im Reich der Distinktionen nicht geben.

Doch ach: Noch die Entflechtung der Ehe gelingt dem alternden Beau nicht so recht. In seinem Milieu geht man nicht fremd, sondern man unterhält "Liebesaffairen". Begleitumstände gelten noch dann, wenn sie vernachlässigbar sind, für "important". Endlich glaubt Mosebach, der sich ungemein anstrengende Stilist, nicht mehr, dem Schöpfer der Buddenbrooks auf Augenhöhe begegnen zu müssen.

Zauber der Bildbeschreibung

Mosebach tändelt – und zaubert aus einer Reihe von Bildbeschreibungen ein ganz unvergleichliches Aroma hervor, eine Stimmung des Abschiednehmens, die vom Ende der Kunst handelt: ihrer Preisgabe als bürgerliche Verständigungsform. In Taube und Wildente beschwört der Autor ganz zum Schluss noch einmal einen wüsten Feuerzauber: als könne er die amüsante Albernheit seiner "Untergeher" (Thomas Bernhard) nicht unpathetisch auf sich beruhen lassen.

Auch ohne diesen Budenzauber wäre sein Buch ein kleines Meisterwerk geblieben: auf dem Niveau von Theodor Fontanes Frau Jenny Treibel. Wenn diese etwa von Julian Barnes mitverfasst worden wäre. Es muss ja nicht immer gleich Dante sein. (Ronald Pohl, 4.11.2022)