Aufgerollt und vor allem aufgerechnet wird in der Metallerlohnrunde alles, was den eigenen Argumenten nützt. Bei diesem Ritual sind Kompromisse schwer zu finden.

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Wien – Würde die Forderung der Gewerkschaft nach einer Erhöhung von Löhnen und Gehältern der rund 200.000 Metallarbeiter und Industrieangestellten um 10,6 Prozent erfüllt, hätte dies spürbare Folgewirkungen. Zwar wäre eine starke Lohnerhöhung angesichts hoher Energiepreise zweifellos der von der Gewerkschaft gewünschte kräftige Schub für Einkommensentwicklung, Kaufkraft und ein positiver Konjunkturimpuls. Die Kehrseite der Medaille wäre allerdings ein Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit für die heimische Industrie, der die – insbesondere für die Metallindustrie wichtigen – Nettoexporte beeinträchtigen würde. Dies, weil Konkurrenten etwa in den USA keine derartigen Energiepreisvolten zu bewältigen haben.

Das ist die zentrale Aussage einer aktuellen Publikation der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). "Eine Lohnerhöhung von zehn Prozent würde einen Inflationsanstieg von etwa drei Prozentpunkten verursachen", rechnen die OeNB-Ökonomen auf Basis historischer Daten in ihrer Notiz "Inflation und Lohnverhandlungen" vor, die im Oktober veröffentlicht wurde, also genau zur Herbstlohnrunde von Metallindustrie, Eisenbahnen, Handelsangestellten und Beamten. Unter den Bedingungen einer höheren Inflation könnte diese Relation auch höher ausfallen.

Mit Blick auf die jüngste Schnellschätzung der Statistik Austria, in der die Oktober-Inflation auf elf Prozent taxiert wird, und einer prognostizierten Jahresinflation 2022 (Jahresdurchschnitt) von 8,5 Prozent darf ein solches Szenario als gefährliche Drohung interpretiert werden. Für den Jahresdurchschnitt 2023 erwartet das Institut für Höhere Studien eine Teuerungsrate von 6,8 Prozent.

Wie auch immer die Lohnsteigerungen tatsächlich ausfallen – am Donnerstag verhandelten die metalltechnische Industrie und die Gewerkschaften Pro-Ge und GPA ab Mittag –, der Abschluss wird Rückwirkungen auf die Preise haben. "Bei gegebener Produktivitätsentwicklung werden diese umso stärker sein, je stärker die Lohnsteigerungen ausfallen. Diesen "Pass-Through" gibt die OeNB mit rund 0,3 an. Das bedeutet: Eine generelle Lohnerhöhung um zehn Prozent würde unter der Annahme einer vollständigen Überwälzung zu einem Anstieg der Preise binnen drei Jahren um drei Prozent führen. Da die Metallerabschlüsse traditionell Vorbildwirkung haben, wäre mit höheren Lohnabschlüssen auch in anderen Branchen zu rechnen.

Hohe Preise dämpfen Ausfuhren

Den eingangs erwähnten Verlust an Wettbewerbsfähigkeit durch hohe Lohnabschlüsse gibt die OeNB zwischen zwei und drei Prozent an, der wiederum einen Rückgang der Ausfuhren nach sich ziehe. Dadurch würden die Exporte um ein Prozent sinken. Der Import von Öl und Gas hat die Handelsbilanz bereits um 8,5 Milliarden Euro verschlechtert.

Der reale private Konsum steigt durch die Lohnerhöhungen um bis zu drei Prozent, sinkt nach einem Jahr aufgrund der gestiegenen Verbraucherpreise aber wieder leicht ab. Auch auf die österreichische Wirtschaft (BIP real) wirkten höher steigende Löhne nach der Simulation der OeNB zunächst positiv. Dieser Effekt kehre sich nach etwa sechs Quartalen allerdings ins Negative.

Zweitrundeneffekte

Der Grund für diese Entwicklung: Höhere Löhne führen zu sogenannten Zweitrundeneffekten, denn Konsum und Nachfrage bleiben durch höhere Einkommen hoch erhalten, was wiederum die Preise treibt. Würde mit einem Lohnabschluss hingegen nur die vergangene Inflation abgegolten, würde dieser Auftrieb zumindest gedämpft.

Vor diesem Hintergrund scheint eine von der Arbeitnehmerseite als nicht nachhaltig verteufelte Einmalzahlung als Mittelweg. Denn zwar heizt auch eine Einmalzahlung die Inflation an, allerdings verpufft deren Wirkung rascher. Ist die Einmalzahlung weg, wird die Lohninflation automatisch gedämpft. Eine hohe Inflation hingegen klingt tendenziell bei höheren Lohnerhöhungen weniger schnell ab, heißt es sinngemäß im OeNB-Papier. Zusammen mit hohen, aus dem Ausland importierten Energiepreisen kann sie sich verfestigen.

"Permanenter Energiepreisschock"

Dämpfend wirken würde angesichts des "permanenten Energiepreisschocks" auch eine Abwandlung der in Lohnrunden üblicherweise verwendeten "Benya-Formel". Diese Formel soll die Lohnquote stabil halten und basiert auf der Inflation des abgelaufenen Jahres (von September 2021 bis August 2022; heuer 6,3 Prozent) und dem gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt. Diese Konsumgüterpreisinflation sei angesichts des aktuellen negativen Angebotsschocks und der makroökonomischen Verwerfungen laut den OeNB-Ökonomen "nicht zielführend".

Im Sinne einer konstanten Lohnquote wäre die um Energie- und Nahrungsmittelpreise bereinigte "Kerninflation" wohl die bessere Maßzahl: "Unter Berücksichtigung der Kerninflation wäre ein um rund 2,6 Prozentpunkte niedrigerer Lohnabschluss als unter Heranziehung der Verbraucherpreisinflation indiziert", lehnt sich die OeNB ungewöhnlich weit aus dem Fenster. Lohnrunden sind in Österreich den Sozialpartnern vorbehalten, Wirtschaftsforscher mischen sich da üblicherweise nicht ein. Die Arbeitnehmerentgelte wären dadurch aber in Summe um 5,5 Milliarden Euro niedriger.

Der Staat zahlt auch mit

Hier spielen im Hintergrund natürlich die umfangreichen Antiteuerungs- und Energiehilfen für private Haushalte eine Rolle. Sie implizierten ein starkes Wachstum der Nettolöhne. die verfügbaren Einkommen/Nettoeinkommen würden stärker wachsen als die Bruttoentgelte, rechnet die OeNB vor. Allein für 2022 und 2023 betrage die Summe der Entlastungen der österreichischen Haushalte 6,9 Milliarden beziehungsweise 7,8 Milliarden Euro. Dadurch entwickelten sich die realen Nettoeinkommen deutlich günstiger als die realen Löhne, schreibt die OeNB mit Verweis auf das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, das jüngst voraussagte, dass die realen Löhne und Gehälter pro Kopf 2023 netto um 4,4 Prozent wachsen werden, brutto allerdings nur um 0,4 Prozent. Damit steigen die realen Nettolöhne also deutlich stärker als der für heuer prognostizierte Verlust um 2,8 Prozent.

Die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale sehen die OeNB-Ökonomen übrigens auch bei einem hohen Abschluss noch nicht in Gang gesetzt. Dazu würde es einer längeren Periode sich wechselseitig bedingender Preis- und Lohnsteigerungen bedürfen, die durch das höhere Lohnwachstum wohl nicht gegeben sei. Allerdings könnten die Unternehmen in Reaktion die Güterpreise umso stärker anheben, um sinkende Gewinnmargen wettzumachen. "In einem solchen Verteilungskonfliktszenario wäre die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale erhöht", schreibt die OeNB. (Luise Ungerboeck, 3.11.2022)