Im Gastblog kartiert Rechtwissenschafter Malte Kramme die Rolle von Nachhaltigkeit im Recht und plädiert dafür, ihr eine größere Bedeutung in der Rechtswissenschaft und Gesetzgebung einzuräumen.

In der vergangenen Woche fanden sich hochkarätige Expertinnen und Experten bei einer Tagung an der Universität Innsbruck ein, um zu ergründen und darüber zu debattieren, welchen Einfluss Recht auf eine nachhaltige Gestaltung der Zukunft hat.

Der Klimawandel führt zu Artensterben und Vernichtung von Ökosystemen. Darauf zu reagieren ist auch eine Aufgabe der Rechtswissenschaften.
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Aber nicht erst mit dieser Tagung ist der Begriff der Nachhaltigkeit in der Rechtswissenschaft angekommen. Nachhaltigkeit ist eine rechtliche Querschnittsmaterie, also eine Materie, die nicht einer der klassischen Teildisziplinen wie Staats- oder Zivilrecht zugeordnet werden kann, sondern die scheinbar überall eine Rolle spielt. Der Nachhaltigkeit ergeht es dabei nicht anders als vielen anderen dieser Querschnittsmaterien. Wenn ihnen auf der Bühne des rechtswissenschaftlichen Diskurses mehr Aufmerksamkeit zuteilwird als gewohnt, werden sie als Modethemen bezeichnet, also Themen, die kommen, aber auch wieder gehen werden, wie die aktuelle Herbstkollektion.

Querschnittsmaterie statt Modethema

Es ist zu hoffen, dass davon nur der erste Teil stimmt, also dass es sich um ein Thema handelt, das kommt, aber eines, das bleibt und dessen große gesellschaftliche Relevanz mehr und mehr erkannt wird, sodass es einen festen Platz an Fakultäten, in der Forschung, im Lehrangebot, aber natürlich auch in der rechtlichen Praxis findet.

Denn nach der gängigen Definition, die auf den Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen von 1987 zurückgeht, geht es bei Nachhaltigkeit um die Ausfüllung gesellschaftlicher Gestaltungsräume in einer Weise, die es erlaubt, unsere Bedürfnisse nicht nur gegenwärtig, sondern auch in der Zukunft zu befriedigen. Niemand wird ernsthaft wollen, dass dieses "auch an morgen denken" etwas ist, das bald wieder vergeht.

Aber es ist natürlich richtig, dass der Wert eines auf die Zukunft gerichteten Verantwortungsbewusstseins keine ganz neue geisteswissenschaftliche Erkenntnis ist. Unterschiedlich nuanciert ist diese Erkenntnis wahrscheinlich so alt wie die menschliche Zivilisationsgeschichte.

In Mode ist daher, wenn überhaupt, der Begriff, aber nicht die dahinterstehende Idee. Da er Assoziationen an einen gefestigten ethischen Wertekompass weckt, ist er bei den meisten Menschen sehr positiv konnotiert. Gleichzeitig ist er semantisch so offen, dass er allen erdenklichen Phänomenen und Ideen als Attribut zur Seite gestellt werden kann und diesen ein moralisches Gütesiegel verleiht. Die Versuchung, alles und jedes für "nachhaltig" zu erklären, ist vor allem in der politischen Kommunikation groß. Wahrscheinlich wird man nirgends eine größere Dichte des Begriffs der Nachhaltigkeit finden als in Wahlprogrammen von Parteien.

Wenn nun die Rechtswissenschaft über nachhaltiges Recht nachdenkt und Nachhaltigkeit auch verstärkt zum Leitmotiv für den Gesetzgeber werden soll, sollte das Wort aber nicht allzu beliebig verwendet werden. Zwar bedarf es keiner exakten Definition, weil es nicht darum geht, einen Anwendungsbereich zu bestimmen. Aber es muss doch klar sein, worum es im Kern geht und worum nicht.

Drei Facetten der Nachhaltigkeit

Es ist gängig, drei Facetten der Nachhaltigkeit zu unterscheiden, die ökologische, die ökonomische und die soziale Nachhaltigkeit. Dabei deuten die drei Bereiche auf natürliche oder gesellschaftliche Systeme, die durch entsprechendes Handeln auch in Zukunft erhalten bleiben sollen, weil sich ansonsten die Lebensgrundlagen dramatisch verschlechtern würden.

Es geht also darum, die Folgen unseres Handelns in den Blick zu nehmen. Hier wird die zentrale Bedeutung des Rechts deutlich. Wie alle sozialen Normen, beeinflussen auch Rechtsnormen menschliches Verhalten. Nachhaltigkeit als Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung bedeutet daher, die Folgen von Normen und deren Fehlen für die drei Facetten offenzulegen. Im Bewusstsein dieser Folgen geschaffenes nachhaltiges Recht verbessert die Stabilität dieser lebensnotwendigen Systeme. Es sichert auch die Freiheit uns nachfolgender Generationen, wie das deutsche Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr in einer wegweisenden Entscheidung betont hat.

Wenn wir davon sprechen, die Bedürfnisse künftiger Generationen zu achten, liegt dem eine anthropozentrische Anschauung zugrunde. Sie ist bei der ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit nicht zu hinterfragen. Denn die Welt der Pflanzen und das Reich der Tiere interessieren sich nicht für unser Wirtschaften und unser soziales Miteinander.

Bei der ökologischen Nachhaltigkeit sollten wir unseren Blick aber weiten. Es gibt hier zwei ganz große Problemfelder: einerseits den menschlichen Beitrag zur Aufheizung der Atmosphäre und andererseits weitere menschliche Beiträge zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen. Wir erleben derzeit ein dramatisches Artensterben und die unwiederbringliche Vernichtung ganzer Ökosysteme.

Allein seit der Regierungsübernahme des Präsidenten Bolsonaro, also seit 2019, wurde im Amazonas-Regenwald eine Fläche von der Größe Belgiens abgeholzt. Das ist nicht nur für die Menschheit verheerend, die stärker unter dem Klimawandel leiden wird, wenn damit eine natürliche CO2-Senke verloren geht. Der Erhalt von Artenvielfalt und von Lebensräumen, in denen diese sich entfalten kann, ist ein Wert an sich und nicht nur ein Mittel zum Zweck des Wohlergehens von Menschen.

Wechselwirkungen ökologischer, ökonomischer und sozialer Schieflagen

Die drei Facetten der Nachhaltigkeit – ökologisch, sozial und ökonomisch – sind ganz eng miteinander verzahnt. Deutlich wird das beim Klimawandel.

Der Anstieg des Meeresspiegels, die Verwüstung von Landstrichen und Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen oder Dürren stellen die davon betroffenen Gesellschaften vor die Frage, wie unter diesen Umständen grundlegende Bedürfnisse gesichert werden können.

Andererseits hat auch die soziale Dimension Auswirkungen auf die ökologische. Wenn in autoritären Systemen grundlegende Rechte der Bevölkerung ohnehin nicht gewahrt werden, müssen in der Logik dieser Regime Maßnahmen zur Abschwächung oder Anpassung an den Klimawandel nur unternommen werden, soweit das zur Stabilität der Regime notwendig ist.

Wenn in den freien und demokratischen Gesellschaften im digitalen Diskursraum Desinformation und Verschwörungserzählungen die Oberhand gewinnen, werden früher oder später auch die Parteien Wahlen gewinnen, deren Programm mit Vernunft, gesundem Menschenverstand und Anstand auf Kriegsfuß steht. Das bedeutet dann auch das Ende jeder verantwortungsbewussten Klima- und Umweltpolitik.

Der Markt allein regelt nicht alles

Bei der ökonomischen Nachhaltigkeit kommt es auf die Verknüpfung mit wenigstens einer der beiden anderen Facetten besonders an. So kann sich etwa die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder das Anrichten von Umweltschäden für das einzelne Unternehmen durchaus als nachhaltig darstellen, weil etwa ein ständiger Nachschub von Arbeitskräften wegen der Arbeitsmarktsituation gesichert ist oder weil es unabhängig von den unmittelbaren Folgen der Umweltschäden ist. Dennoch würde es kaum auf Akzeptanz stoßen, ein Geschäftsmodell als nachhaltig zu bezeichnen, das – um es mit der wirtschaftswissenschaftlichen Terminologie zu sagen – Kosten verursacht, die andere zu schultern haben.

Es ist eine ganz zentrale Herausforderung für die Rechtswissenschaft, Vorschläge zu erarbeiten, wie mit rechtlichen Instrumenten dafür gesorgt werden kann, dass die Rechnung für solche Kosten der Verursacherin oder dem Verursacher ausgestellt wird. Der Markt regelt zwar vieles, die Internalisierung solch externer Kosten aber oft nicht. Erst wenn rechtlich abgesichert ist, dass sich Geschäftsmodelle, die Mensch und Natur schaden, sich nicht rechnen, sind sie auch bei einer rein betriebswirtschaftlichen Betrachtung nicht nachhaltig.

Die Realität sieht aber häufig anders aus: Das auf den gerodeten Flächen im Amazonasgebiet angebaute Soja dient nicht allein der Befriedigung der brasilianischen Binnennachfrage, sondern wird in alle Welt geliefert. In beträchtlichem Maß auch nach Europa als günstiges Futtermittel. Erst Ende des vergangenen Jahres, nach Jahrzehnten der Zerstörung des tropischen Regenwaldes, hat die Europäische Kommission einen Verordnungsvorschlag eingebracht, der die Einfuhr von Produkten, die auf Kosten von Waldbeständen hergestellt wurden, untersagen würde (COM(2021) 706 final). Bisher ist es aber beim Entwurf geblieben.

Die Tragik der Allmende und der Kampf ums Recht

Dies ist nur ein Beispiel von vielen, an denen sich die Tragik der Allmende zeigt: Unsere natürlichen Lebensgrundlagen werden, wie auch andere Allgemeingüter, so behandelt, als seien sie unerschöpflich. Dabei sind die bloß – solange sie noch nicht verbraucht worden sind – frei verfügbar.

Doch wer würde, vor die Wahl gestellt zwischen günstigen Fleischpreisen und den Folgen der Vernichtung des Amazonas-Regenwalds, sich im Bewusstsein aller Konsequenzen für die günstigen Preise entscheiden? Wohl wenige. Umso absurder mutet es an, dass die (mutmaßliche) Mehrheit, die sich ein Ende des menschlichen Beitrags zum Klimawandel, zur Zerstörung von Lebensgrundlagen und zur Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern, vor allem im globalen Süden, wünscht, durch ihre vielfältige Einbindung in nicht nachhaltig regulierte Wirtschaftskreisläufe doch aktiv dazu beiträgt.

Doch was steht einer verantwortlichen Regulierung, einem nachhaltigen Recht im Weg? Im von Rudolf von Jhering beschriebenen "Kampf ums Recht" findet nur die Stimme Gehör, die laut genug ist. Diejenigen, deren Stimmen zu schwach sind, sind darauf angewiesen, dass andere für sie streiten. Das ist das verdienstvolle Anliegen zahlreicher Nichtregierungsorganisationen.

Aber einen erheblichen Beitrag können auch die Wissenschaften leisten. Die Natur- und Sozialwissenschaften können die ökologischen und sozialen Folgen von Fehl- und Nichtregulierung ins Bewusstsein der Allgemeinheit und ihrer politischen Entscheidungsträger rufen. An den Rechtswissenschaften ist es, daran anknüpfend Konzepte für ein nachhaltiges Recht zu entwickeln, die der Gesetzgeber aufgreifen kann. (Malte Kramme, 7.11.2022)