Nicht eben leise war vorab die Kritik am China-Besuch von Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz gewesen. Die Reise nach Peking am Freitag, an der auch die Vorstandschefs von Volkswagen, BMW, BASF, Bayer, der Deutschen Bank und des Impfstoffproduzenten Biontech im Gefolge des SPD-Kanzlers teilnahmen, schwäche die Zusammenarbeit des Westens, hieß es im Vorfeld in der linksliberalen niederländische Zeitung "Volkskrant". Deutschland ignoriere Warnungen vor China, das sich gerade erst – auf Scholz' persönliche Initiative hin – in den Hamburger Hafen eingekauft hat, monierte "El País" aus Madrid.

Und auch die internationalen Partner waren nicht eben amused vom Alleingang des Deutschen: weder Washington noch Paris – und auch die EU-Kommission in Brüssel fand keine warmen Worte. Erst vor wenigen Tagen hatte Berlin die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco an einem Containerterminal im Hamburger Hafen zugelassen.

Und sogar innerhalb von Scholz' Koalition hatte es rumort, noch bevor die Regierungsmaschine aus Berlin am Freitag auf dem Pekinger Rollfeld aufsetzte. Annalena Baerbock, Deutschlands grüne Außenministerin, mahnte in ungewöhnlich direkter Art bei Scholz ein verstärktes Engagement in Sachen Menschenrechte ein – business as usual, stellte sie klar, könne es angesichts der immer repressiveren Diktatur Xi Jinpings in Peking, der Berichte über Internierungslager für die muslimischen Uiguren und Chinas Allianz mit Russland nicht mehr spielen. Während der uigurische Weltkongress gar eine Absage der Reise forderte, stärkte ausgerechnet der wohl berühmteste chinesische Dissident, der Künstler Ai Weiwei, dem deutschen Kanzler den Rücken: In der heutigen Welt wäre es unrealistisch, Beziehungen abzubrechen, um politische Ziele zu erreichen. Das habe nie funktioniert. "Ich denke nicht, dass sein Besuch in Peking inakzeptabel ist."

Neuen Kurs postuliert

Scholz selbst ficht das zu Beginn seines Besuches alles nicht an. "Es ist gut und richtig, dass ich heute hier in Peking bin", erklärte er. "Der russische Überfall auf die Ukraine hat den Krieg zurückgebracht nach Europa." In Zeiten der Krisen seien Gespräche aber noch wichtiger. Kurz vor seiner Abreise hatte der Kanzler in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen neuen Kurs der Ampelregierung gegenüber dem Pekinger Regime skizziert. "Es ist klar: Wenn sich China verändert, muss sich auch unser Umgang mit China verändern."

Scholz (links) bei Xi.
Foto: Yao Dawei/Xinhua via AP

Dies, stellte er klar, wolle er auch gleich vor Ort unter Beweis stellen. Das Anlass, über dessen Zeitpunkt Scholz so gescholten worden war, schien dafür günstig: Der deutsche Kanzler war nicht nur der erste westliche G7-Regierungschef, der Peking seit Beginn der Covid-Krise besuchte, sein Termin in der Großen Halle des Volkes war auch der kürzeste, den ein Kanzler – oder eine Kanzlerin – jemals absolviert hat. Gerade einmal elf Stunden waren dafür anberaumt worden, und das alles unter nach wie vor scharfen Corona-Sicherheitsvorkehrungen. Umso größer war der Druck, der von innen und von außen auf Scholz lastete, der Xi noch aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister und SPD-Finanzminister kennt.

Klartext in leisen Worten

Und tatsächlich schien die Mahnung seiner Außenministerin bei Scholz nicht ungehört geblieben zu sein: Unmissverständlich wie selten ein westlicher Besucher zuvor nutzte der deutsche Kanzler seine Audienz für Klartext, den er in der für ihn typisch leisen Art an den Mann brachte. Menschenrechte seien universell, erklärte Scholz im Rahmen einer Pressekonferenz mit dem am eben erst zu Ende gegangenen Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas entmachteten Ministerpräsidenten Li Keqiang. "Menschenrechte sind keine Einmischung in innere Angelegenheiten", legte Scholz nach; was die Lage der Uiguren betrifft, wolle er mit Peking "im Austausch bleiben". Chinas Drohungen gegen Taiwan wies Scholz zurück. Zwar unterstütze Deutschland Pekings Ein-China-Politik, diese dürfe aber nicht gewaltsam durchgesetzt werden.

Vergleichsweise deutlich wurde Gastgeber Li, als sein Land von Scholz gebeten wurde, sich bei Russlands Präsidenten Wladimir Putin für ein Ende des Angriffskrieges gegen die Ukraine einzusetzen: China hoffe auf ein "baldiges Ende" des Krieges, denn "wir können uns keine weitere Eskalation leisten".

Lob für Gastgeber

Bisher hatte sich China stets auf Allgemeinplätze beschränkt, wenn es um den Krieg in der Ukraine ging. Die USA und die Nato – und nicht Russland – hätten den Konflikt herbeigeführt, hatte es bisher stets geheißen, legitime Sicherheitsinteressen aller Seiten müssten berücksichtigt werden. Zwischen den Zeilen war zu lesen, wem Pekings Augenmerk da vor allem gehörte: Russland. Andererseits scheint Peking nach Einschätzung westlicher Regierungskreise aber die EU- und US-Sanktionen gegen Russland auch nicht zu untergraben. Den – möglicherweise – neuen Kurs versüßte Scholz mit Lob an seine Gastgeber: China, sagte der Kanzler, sei ein "großes Land" mit Verantwortung für den Frieden in der Welt.

Präsident Xi Jinping, der seine Macht erst vor wenigen Tagen auf dem Parteitag hatte zementieren lassen, blieb nach seinem ersten Treffen mit Kanzler Scholz hingegen allgemein: Man wolle die Zusammenarbeit mit Deutschland ausbauen, erklärte er, die internationale Lage sei schließlich "komplex und wechselhaft". China und Deutschland sollten als einflussreiche Länder zusammenarbeiten und "in Zeiten von Veränderung und Chaos" mehr Beiträge zu Frieden und Entwicklung leisten. So könnten sich die Beziehungen der beiden Länder in eine "unvoreingenommene und beständige Richtung entwickeln". Russland und die Ukraine, so Xi, sollten sich alsbald zu Friedensgesprächen durchringen, der Konflikt dürfe nicht nuklear werden.

Anders als in Sachen Menschenrechte nimmt der vorab so gescholtene Scholz jedenfalls beim Thema Corona eine konkrete Zusage mit nach Hause: Deutschlands Kanzler hat grünes Licht für die Zulassung des Corona-Impfstoffs von Biontech für in China lebende Ausländerinnen und Ausländer bekommen. (Florian Niederndorfer, 4.11.2022)