Am Sonntag zogen Marschkolonen von Rechtsextremen und Anhänger und Anhängerinnen von Verschwörungsmythen durch Wien.

Foto: Markus Sulzbacher

Die beiden Männer steckten hinter so mancher Corona-Demonstration. Seit dem Jahr 2020 brachten Hannes Brechja und Martin Rutter zeitweise tausende Personen auf die Straßen Wiens – im Verbund mit der FPÖ, waren es sogar Zehntausende, die zu den als "Mega-Demos" bezeichneten Kundgebungen kamen. Mittlerweile ist die Pandemie allerdings als Thema durch – und die beiden Männer haben sich verkracht. Seit einigen Monaten streiten Brechja und Rutter um den Einfluss und die Führung der Protestbewegung. Wie tief das Zerwürfnis ist, wurde am Wochenende in Wien sichtbar. Brechja veranstaltete am Samstag eine "Fairdenken-Demo", Rutter am Sonntag eine "Mega-Demo".

Erneut wehten russische Fahnen in Wien

Doch "Mega" blieb ein Wunschdenken, wie auch die von Brechja ersehnte Million am Samstag. Lediglich rund 300 Personen zogen durch Wien, um unter anderem für "unsere Kinder" und die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 sowie gegen die Nato und Sanktionen gegen Russland zu demonstrieren. Dazu passend wehten schon bei der Auftaktkundgebung russische Fahnen.

Die vergleichsweise schwach besuchte Demonstration vom Samstag.
Foto: Markus Sulzbacher

Russische Fahnen waren auch am Sonntag zu sehen, als knapp 1.400 zur Demonstration von Rutter kamen. Der aus Kärnten stammende Aktivist, der zuvor bei den Grünen und danach beim Team Stronach und dem BZÖ aktiv war, hat ein neues Thema gefunden, um Menschen auf die Straße zu bringen. Nach den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie soll nun die "Asylflut" gestoppt werden.

Nach einem Identitären ergriff FPÖ-Generalsekretär Schnedlitz das Wort

Was das heißt, wurde auf der Demonstration rasch klar, als Jakob Gunacker von der Identitärengruppe "Die Österreicher" eine Rede hielt, die gespickt mit rassistischen Tiraden war. Darin warnte er auch vor einem angeblichen Bevölkerungsaustausch – ein Klassiker unter den rechtsextremen Verschwörungserzählungen. Nach Gunacker ergriff FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz das Wort. Er leitete seine Rede damit ein, dass er "hundertmal lieber" auf der Demonstration bei Martin Rutter sei als im Parlament bei der Grünen-Politikerin Sigrid Maurer. Schnedlitz zeigte in der Vergangenheit selten Berührungsängste gegenüber Rechtsextremen, daher kam sein Auftritt nicht überraschend.

Martin Rutter hielt am Sonntag eine Rede, daneben ein Transparent der Identitären.
Foto: Markus Sulzbacher

Als die Marschkolonnen durch Wien zogen, prägten Transparente und Parolen der Identitären den Zug. Mit dabei war auch der Identitären-Anführer Martin Sellner, der von Rutter persönlich mit einer eigenen Lautsprecherdurchsage begrüßt wurde. Damit machte Rutter den Schulterschluss mit der rechtsextremen Gruppierung offiziell, die seit zehn Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird und in deren Umfeld immer wieder Straftaten begangen werden. Aus den Corona-Demonstrationen ist ein Aufmarsch von organisierten Rechtsextremen geworden.

Fotos von der Demonstration am Sonntag zeigen die starke Beteiligung von Identitären.

Eine Richtung, in die offensichtlich nicht alle Demonstrierenden gehen wollen. Einige Aktivisten und Aktivistinnen der Impfgegnerpartei MFG verließen die Kundgebung vorzeitig. Und auf Telegram machte die bekannte Aktivistin und Anhängerin von Verschwörungserzählungen, Jenny Klauninger, ihren Ärger öffentlich: "Aus der Traum", schrieb sie. Und sie erklärt, da Rutter und Brechja "nicht mehr zusammen agieren", sei die "Widerstandsbewegung", der es "im Grunde darum ging, den Great Reset der Globalisten aufzuhalten", "von der IB vollständig übernommen" worden. Als Aktivistin der ersten Stunde hat Klauningers Wort Gewicht in der Szene.

"Aus der Traum", so Jenny Klauninger auf Telegram.
Foto: Screenshot

"Inhaltliche Differenzen" führten zum Streit

Anlass für das Zerwürfnis zwischen Brechja und Rutter war wohl auch, dass Brechja "ohne Absprache" mit Rutter zu einer Demonstration am 10. September in Wien mobilisierte, nachdem es zuvor "inhaltliche Differenzen" gegeben hatte, wie dazu auf einem Telegram-Kanal von Rutter zu lesen war. Kritik gab es auch daran, dass Brechja Freibier auf der Demonstration ausschenken wollte. Brechja verzichtete auf das Bier, ging dafür jedoch auf Konfrontationskurs und bezeichnete Rutter als "Narzissten" (sic!).

Schließlich zog Rutter am 10. September mit Impfgegnerinnen und Impfgegnern und den Identitären durch einige Bezirke Wiens, während Brechja zeitgleich auf dem Heldenplatz eine Kundgebung abhielt. Danach zogen beide Gruppen gemeinsam über den Ring. Seither gab es keinen offiziellen Auftritt der beiden Männer mehr. Dafür richten sie einander auf Telegram Unschönes aus.

Martin Rutter richtet Hannes Brechja aus, dass seine Demo am Samstag gefloppt ist.
Foto: Screenshot/Telegram

Küssel und ein Winnetou

Bei dem Streit geht es nicht nur um die Führung der Protestbewegung. Die Demonstrationen sind auch wichtig, um Spendengeld zu sammeln. So beklagte Brechja nach einer spärlich besuchten Demonstration am 22. Oktober, dass er auf den "Kosten" für mobile Toiletten sitzen bleiben könnte, die er extra organisiert hatte. Damals waren Anhänger und Anhängerinnen von Verschwörungserzählungen, Rechtsextreme wie Gottfried Küssel und Aktivisten und Aktivistinnen der Impfgegnerpartei MFG gekommen. Einer der Teilnehmenden erschien in einem Winnetou-Kostüm – wohl eine Anspielung auf die im Sommer hochgekochte Cancel-Debatte um Winnetou-Kinderbücher.

Keine Chance gegen Van der Bellen

Neben den Streitereien versetzte schon zuvor die Niederlage der rechten Kandidaten bei der Wahl zum Bundespräsidenten der Szene einen Dämpfer. Sie hat gesehen, dass ihre Themen, etwa "gegen die Eliten" zu sein, die Sanktionen gegen Russland oder die Entlassung der Regierung, keine Chance gegen Amtsinhaber Alexander Van der Bellen hatten. Besonders traf es die in diesem Milieu verankerte MFG. Parteichef Michael Brunner fuhr bei der Wahl mit 2,1 Prozent der Stimmen ein vergleichsweise schlechtes Ergebnis ein. Zusätzlich kämpft die Partei damit, dass sich Spitzenfunktionäre verabschiedeten und sie in Umfragen an Boden verliert.

Gottfried Küssel und ein Winnetou bei der Demo von Hannes Brechja am 22. Oktober.

Wie sich der Streit zwischen Brechja und Rutter weiterentwickelt, wird sich zeigen. Rutter ging bis vor wenigen Wochen davon aus, dass "Preiserhöhungen und Inflation" die Massen im Herbst auf die Straße bringen würden, wie er in einem Interview mit dem Rechts-außen-Sender Auf1 ausführte. Nachsatz: "Ich hoffe, dass es zivilisiert abläuft, weil die Wut ziemlich groß ist." Von Demonstrationen, "größer und schlimmer als das, was es gegeben hat", sprach auch der Neonazi Küssel bei einem Auftritt im Sommer vor Publikum im niederösterreichischen Ternitz.

Bislang ist davon allerdings nichts zu bemerken. Bei den vergangenen Corona-Demonstrationen zeigte sich, dass erst Zehntausende kamen, als FPÖ-Chef Herbert Kickl dazu aufrief und Medien dies verbreiteten. Es gibt derzeit keine Anzeichen, dass Kickl wieder auf den Straßenprotest setzen wird, auch wenn freiheitliche Politiker bei Demonstrationen Reden schwingen.

Neue Demonstrationen angekündigt

Für die kommenden Monate haben Rutter und Brechja neue Demonstrationen in Wien angekündigt. Gemeinsam rufen sie dazu freilich nicht mehr auf. (Markus Sulzbacher, 8.11.2021)