Louis Vuitton, Chanel, Omega oder Bulgari – sie alle machen es. Die Rede ist nicht davon, Luxusartikel an eine kaufkräftige Klientel zu verkaufen, sondern von Heritage-Management. Unter dem Begriff könnte man im ersten Moment Denkmalschutz oder vielleicht Nachlassverwaltung verstehen. Gemeint ist aber jener Teil der Unternehmenskommunikation, der sich mit dem Umgang der eigenen Geschichte befasst. Immer mehr Organisationen erkennen Potenzial darin und kreieren entsprechende Stellen. Aber was machen die Leute, die sich um das Erbe einer Marke kümmern genau, und wozu ist das Ganze gut?

In der Schmucksammlung von Schauspielerin Elizabeth Taylor befinden sich auch viele wertvolle Stücke von Bulgari.
Foto: Bulgari

Eine, die es wissen muss, ist Lucia Boscaini. Sie ist seit 2014 "Brand and Heritage Curator" bei der italienischen Luxusmarke Bulgari. In dieser Position habe sie die Aufgabe, Anekdoten aus der jeweiligen Unternehmensgeschichte so zu erzählen, dass eine Bindung zur Marke aufgebaut wird. "Heutzutage kann man nicht mehr bloß über Qualitätseigenschaften des Produkts in Konkurrenz treten.

Bulgari stellt exquisiten Schmuck her, aber das tun auch Cartier oder Tiffany & Co. Man muss sich also durch das Storytelling abheben", sagt Boscaini, die Wirtschaft studierte und schon vor ihrer aktuellen Position im Marketingteam von Bulgari tätig war. Sie versuche, aus der Geschichte heraus "Legendäres" zu kreieren. Historisierende Selbstbeweihräucherung als Marketinginstrument also? Die eigene Marke bloß zu feiern sei nicht genug, man müsse sich tiefgründig mit der Vergangenheit beschäftigen, sagt die Expertin.

Fluchthilfe und Kidnapping

Das Heritage-Management einiger Unternehmen lässt aber gerne dunkle Kapitel der Geschichte aus, die keinen positiven Marketingdreh zulassen. Auch Bulgari? Angesprochen auf die faschistische Vergangenheit Italiens und die Frage nach der politischen Positionierung des Unternehmens zu jener Zeit, sagt Lucia Boscaini, sie würde etwaige Naheverhältnisse transparent kommunizieren, es gebe diese aber ihres Wissens nicht. Ganz im Gegenteil: "Giorgio Bulgari und seine Ehefrau Elena haben während des Zweiten Weltkriegs jüdischen Familien geholfen, in die Schweiz zu flüchten."

Persönliches aus der Familie Bulgari thematisiere man im hauseigenen Heritage-Management aber gar nicht proaktiv. Man wolle die Privatsphäre akzeptieren und Klatschgeschichten verhindern. Nicht immer gelingt das, wie etwa bei der Entführung von Nicola Bulgaris Ehefrau Anna und ihrem gemeinsamen Sohn Giorgio im Jahr 1983. Als die Familie nicht auf die Lösegeldforderung einging, ließen ihr die Kidnapper eine schaurige Postsendung zukommen: Giorgios rechtes Ohr. Man gab nach, zahlte umgerechnet zwei Millionen Euro, und die Gefangenen wurden freigelassen. Die Geschichte ging damals durch die Medien.

Skandalöse Anekdoten

Freizügiger ist man mit Anekdoten der Promikundschaft – selbst wenn sie für Bulgari ein bisschen peinlich sein mögen. So habe Andy Warhol Anfang der Siebzigerjahre in New York eine seiner Arbeiten gegen eine Bulgari-Uhr tauschen wollen. Nicola Bulgari schätzte die Bedeutung des Pop-Art-Künstlers falsch ein und lehnte das Angebot dankend ab. Wenig erfreulich sei es für das Unternehmen auch gewesen, als Elizabeth Taylor und Richard Burton 1962 miteinander turtelnd vor dem Bulgari-Geschäft in Rom abgelichtet geworden sind.

Die Stars hatten sich bei den Dreharbeiten zum Film Cleopatra 1962 ineinander verliebt. Problem: Beide waren zu dieser Zeit mit anderen Personen verheiratet. Was damals vielleicht ein kleiner Skandal gewesen sei, ließe heute niemanden mehr erröten, erzählt Lucia Boscaini. Noch immer begeistere die 2011 verstorbene Schauspielerin viele Menschen. Das Unternehmen zeigt deren imposante Schmucksammlung immer wieder im Zuge spezieller Ausstellungen. Diese zu organisieren und das hauseigene Archiv, die Heritage-Collection, zu erweitern gehören zu Boscainis Aufgabenbereichen.

Dieses Collier hätte im Erbstreit geteilt werden sollen. Lucia Boscaini konnte das verhindern.
Foto: Bulgari

Aber wie findet man die edlen Vintage-Stücke? "Mein Job ist manchmal Detektivarbeit", sagt Lucia Boscaini. Sie könne zwar auf ein kleines Team von Kunsthistorikerinnen und Schmuckhistorikern zurückgreifen, viel passiere aber über Networking. Bei den Ausstellungen komme sie in Kontakt mit Menschen, die ihr von Erbstücken erzählen. Oder sie werde vom Personal im Laden informiert, wenn Kundschaft mit Vintage-Schmuck auftaucht.

So habe sie verhindern können, dass zwei Schwestern im Streit um die exakte Aufteilung des Erbes ein wertvolles Collier in der Mitte durchtrennen ließen. Anstatt das Stück zu zerstören, konnte Boscaini die Schwestern überzeugen, es zu verkaufen. Die beiden teilten den Gewinn, und Bulgari erweiterte die Sammlung. "Bei Leihgaben oder Käufen von Erbstücken ist Respekt und Feingefühl gefragt. Da sind viele Emotionen und Erinnerungen im Spiel", erklärt Boscaini.

Entschleunigung

All dem Interesse für die Geschichten aus der Vergangenheit legt die Frage nahe, ob man sich gerade jetzt angesichts von Klimakrise, Pandemie oder Inflation nach der "guten alten Zeit" sehnt. Ist es also mit der aktuellen Weltlage zu erklären, warum in den letzten Jahren immer mehr Marken in Heritage-Management investieren? "Das spiele bestimmt eine Rolle. Aber viel mehr wird mit dieser Art von Storytelling das Bedürfnis nach Beständigkeit befriedigt", sagt Lucia Boscaini. Durch Social Media sei die Welt extrem schnelllebig geworden. Geschichten, die die Zeit überdauern, seien eine willkommene Abwechslung.

Die Anekdoten aus dem Hause Bulgari erzählt wohl auch zukünftig Lucia Boscaini. Denn mit ihrem Job geht ein ziemliches Commitment einher. Wer im Heritage-Management tätig ist, weiß bestens über eine Marke Bescheid. Dieses Wissen nützt bei einem anderen Arbeitgeber aber relativ wenig. Ein Wechsel steht für Boscaini aber ohnedies nicht zur Debatte: "Vielleicht liegt es daran, dass ich als Italienerin einen besonderen Bezug zu der Marke habe. Jedenfalls habe ich eine richtige Leidenschaft für Bulgari entwickelt – sogar die Stücke der bekannten Schlangenkollektion gefallen mir mittlerweile, und das, obwohl ich eine regelrechte Phobie vor den Tieren habe."
(RONDO, Michael Steingruber, 12.2.2023)