Pete Doherty ist wieder da. Das Foto stammt vom Juni dieses Jahres. The Libertines traten damals beim britischen Glastonbury-Festival auf.

Foto: Reuters/Dylan Martinez

Hatschi. Gesundheit! Hauptsache, das Naserl ist jetzt frei. Wenn man Pete Doherty heute mit seiner alten Band The Libertines auf der Bühne des Wiener Gasometers stehen sieht, ohne dass man befürchten muss, dass er gleich ungewollt einen Bauchfleck ins Publikum macht, mag man eines fast nicht glauben: Der Mann zählte früher einmal, in den Nullerjahren, zu den größten Problembären, die die an schwierigen Fällen traditionell nicht arme Musikszene zu bieten hatte.

Immerhin rauchte, schnupfte und spritzte Doherty mit Ausnahme von Abflussreiniger, Ameisenstraße, Bootslack und Chromspray so gut wie alles in den Körper, was einer längerfristigen Karriere als einer der talentiertesten Songwriter seiner Generation hinderlich war. Der Hinweis, dass etwa Keith Richards erst ein Junkie wurde, nachdem er sich das als Millionär inklusive reinem Stoff und medizinischer Versorgung leisten konnte, wurde in irgendwelchen abgefuckten Kellerlöchern im damals für Problembären berühmten Londoner Stadtteil Camden mit großer Geste in den Wind geschlagen.

Das alles ist damals nach nur zwei Alben der Libertines, dem an diesem Abend zur Gänze gespielten Up the Bracket und The Libertines, ab 2004 schwerstens schiefgegangen. Pete Doherty giftelte sich trotz teilweise guter Soloarbeiten oder mit der Nachfolgeband Babyshambles zwischen Entzug, Rückfall, Gefängnis, Elend und immer wieder kurzfristig abgesagten Konzerten langsam ins endgültige Out. Zuvor zählte die Musik der Libertines zu den großen Nummern der Indie-Pop-Szene.

Anfang der Nullerjahre kam das toxische Duo von Pete Doherty und seinem musikalischen Partner Carl Barât nämlich ursprünglich in die Welt, um den Leuten klarzumachen, dass herrlich rotzige, räudige, mit großer Inbrunst wie auch Wurschtigkeit hingeschluderte, vorwärts stolpernde und verhaspelte, unbedingt proberaumfeindliche Gitarrenmusik jedenfalls noch nicht ganz zum alten Eisen zählte. Die Gitarren dengeln und quengeln höhenlastig. Die große britische Tradition des gloriosen Aufbegehrens und Scheiterns bis zur Sperrstunde im Pub wird von Ray Davis und den Kinks heraufgeführt bis zu The Clash. Die musikalische Drittverwertung fußt auf deren alten Platten aus dem Secondhand-Laden.

Wrestlingmatch mit der Gitarre

Im Gegensatz zu mit eingezogenem Kopf und überkreuzten Beinen hinter Klappcomputern stehenden moderneren Pop-Sensationen ist es ja auch bis heute interessanter anzuschauen, wenn sich jemand auf der Bühne mit seiner Gitarre und dem Mikrofon ein einstündiges Wrestlingmatch liefert, anstatt die nachdenkliche Trauerweide zu geben.

Pete Doherty wird mittlerweile nicht mehr von Papparazzi verfolgt, er ist zu seinem Glück clean – und er veröffentlicht derzeit von Frankreich aus dank Rotwein, Käse und ofenfrischen Weißbrotstangen auch gutgenährt klingende, recht hübsche und unaufgeregte Songwriteralben wie gemeinsam mit dem französischen Komponisten Frédéric Lo heuer im Frühjahr die Arbeit The Fantasy Life of Poetry & Crime.

Lib 94

Weil aber auch Geld reinkommen muss, befindet sich Doherty mit The Libertines wieder auf Nostalgietour im Zeichen der guten und schlechten alten Zeiten. Das Album Up the Bracket wird anlässlich seiner 20-Jahr-Feier zur Gänze durchgespielt. Nicht alle Lieder sind so gut gealtert wie die Band. Barât und Doherty winden sich um das gemeinsame Mikrofon, die alten Schrottgitarren stottern und spucken fröhliche Komm-sing-mit-Melodien. Boys in the Band, Time for Heroes, I Get Along sorgen für Begeisterung.

Im zweiten Konzertteil folgen dann das zweite Album der Libertines sowie einige Bonuszuckerln. Die späten Songs gerieten damals vor dem Zusammenbruch ab 2004 musikalisch gültiger, die Drogen und das Leben wurden allerdings entschieden härter. Can't Stand Me Now, What Became of the Likely Lads, Don't Look Back Into the Sun kann man allerdings immer noch gut hören. Oft wirkt das alles im Gegensatz zu den alten Songs der damals zeitgleich auftauchenden The Strokes etwas antiquiert. Warum übrigens die Soundleute im weit über die Landesgrenzen hinaus für seine miserable Akustik bekannten Gasometer statt dem zu den bitzelnden und quengelnden Gitarren notwendigen britischen Schepperschlagzeug der Libertines ein amerikanisches Hardrock-Drum-Set mischten, wird für immer ungeklärt bleiben. (Christian Schachinger, 8.11.2022)