Lucrecia Dalt singt, dass die Steine weinen.

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Nehmen wir zum Beispiel das dritte Lied des neuen Albums !Ay! der in Berlin lebenden kolumbianischen Elektronikmusikerin Lucrecia Dalt: Atemporal schleicht sich als lebensmüder südamerikanischer Befruchtungswalzer daher. Der verstört schon allein musikalisch. Irgendwo tief im Dschungel von Kolumbien gehen jetzt alle nachtaktiv geilen Tiere endlich schlafen. Das Lustgebrüll hört endlich auf. Auch dem Dieselgenerator, der den Plattenspieler der lokalen Absturzhütte mit Strom versorgt, fehlt langsam der Saft. Die Tschecheranten hängen ohnehin schlaff in den Seilen.

Das bedeutet, dass die Konservenklänge irgendeiner auf Tropical- und Latin-Sounds der 1960er-Jahre spezialisierten Tanzkapelle ein wenig zu eiern beginnen. Es klingt nach Soundtracks von David Lynch, einem Ensemble für Neue Musik, das früher mit dampfbetriebenen sowjetischen Synthesizern lustige Ostblock-Trickfilme wie Bob und Bobek oder Lolek & Bolek behübschte – und natürlich klingt es nach James Lasts unverwüstlichem Partykracher Fiesta Tropical. Auf zum Eiertanz mit drei Promille in Zeitlupe.

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Jetzt taucht zum Kehraus auch noch der Predator im Tschocherl auf und singt mit betörend verzerrter Alien-Stimme über den Zusammenhang von radiometrischen Daten und Dating-Apps. Egal, wie das Spiel der Liebe angelegt wird, es geht nicht gut aus. Es endet nicht in der Psychiatrie, sondern in der Petrographie, sprich Gesteinskunde. Lucrecia Dalt singt mit sich selbst im Chor: "Lágrimas de xenocristales de circones hadeanos". Xenokristalline Tränen werden aus Hadeanischen Zirkonen fließen. Kurz, selbst die Steine werden weinen. Verrücktes Album. (schach, 9.11.2022)