Weltweit gibt es alarmierende Zahlen zum Insektenschwund. In Österreich ist ebenfalls ein Umbruch zu verzeichnen.
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Auch wenn mit den anhaltend hohen Temperaturen in diesem Herbst noch Bienen, Wanzen oder Gelsen unterwegs sind, die wir um diese Jahreszeit gewöhnlich nicht mehr antreffen: Die artenreichste Tiergruppe der Welt verzeichnet seit einiger Zeit einen massiven Rückgang. Die Ursachen dieser Entwicklung sind nicht restlos geklärt.

Weltweit sind derzeit rund eine Million Insektenarten beschrieben, was mehr als 60 Prozent aller bekannten Tierarten entspricht. Zahlreiche Schätzungen gehen davon aus, dass rund vier Millionen weitere Insektenspezies noch gar nicht entdeckt wurden. Ungeachtet der enormen Zahlen erleben die Sechsbeiner seit Jahrzehnten einen dramatischen Schwund: Für Mitteleuropa gehen verschiedene Studien von einem Verlust von mehr als fünf Prozent der Arten pro Jahr aus.

Alarmierende Zahlen

Wirklich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, aber auch der Fachwelt drang dieser Umstand erst im Jahr 2017 mit der sogenannten Krefeld-Studie: Der Entomologische Verein Krefeld publizierte im Fachjournal Plos One eine Erhebung, die einen Rückgang der Biomasse von Fluginsekten von 76 Prozent innerhalb von 27 Jahren belegte. Zusätzlich frappierend: Die Daten dazu stammten nicht etwa von landwirtschaftlich genutzten Flächen, sondern aus 63 deutschen Naturschutzgebieten.

Tatsächlich gab es früher schon Hinweise auf eine Reduktion der Insektendiversität, aber dabei waren meistens nur einzelne Insektengruppen betroffen und innerhalb dieser vorwiegend Arten mit besonderen Anforderungen an Lebensraum oder Nahrungsverhältnisse. Mit der Krefeld-Studie wurde klar, dass das Problem viel umfassender ist als bis dahin angenommen.

Waren Windschutzscheiben beim Autofahren einst mit Insekten übersäht, bleiben sie heute fast sauber.
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Zwischenzeitlich erfolgte Untersuchungen untermauern den Artenschwund unter den Sechsbeinern. So stellte etwa eine Studie, bei der 150 Grünland- und 140 Waldstandorte zwischen 2008 und 2017 untersucht wurden, einen Rückgang der Arthropoden-Biomasse von 67 Prozent im Grünland und 41 Prozent im Wald fest. Ähnliches ergab eine Studie in einem Regenwald in Puerto Rico: Zwischen den Erhebungen in den Jahren 1976–1977 und 2011–2013 hatte die Insektenbiomasse um bis zu 60 Prozent abgenommen.

Situation in Österreich

Zumindest was die Artenvielfalt betrifft, präsentiert sich die Lage in Österreich weniger dramatisch. Eine kürzlich erschienene, vom Landwirtschaftsministerium und den Ländern finanzierte Studie wiederholte Erhebungen zu verschiedenen Insektengruppen, die zehn bis dreißig Jahre zurücklagen, und fand gesamt betrachtet kaum Rückgänge der Artenzahlen, wohl aber Umschichtungen: "Rund ein Viertel der Arten wurde in den letzten 30 Jahren durch andere ersetzt", erklärt Ökologe und Studienleiter Thomas Zuna-Kratky. Neben deutlichen regionalen Unterschieden erfolgte die Zunahme an Artenvielfalt in erster Linie auf früher artenarmen Testflächen, während für früher artenreiche Standorte das Gegenteil galt.

Die Ursache dafür sieht Zuna-Kratky zum einen darin, dass es in Österreich in den letzten 30 Jahren durchschnittlich um ein Grad wärmer wurde: "Dadurch haben wir einen Zuzug von wärmeliebenden Arten." Andererseits haben Insekten, die auf nährstoffarme Lebensräume angewiesen sind, schlechte Karten. Diese ursprünglich sehr artenreichen Flächen werden durch Stickstoffeinträge aus Verkehrs- und Industrieabgasen sowie durch Düngung in umliegenden Flächen immer nährstoffreicher, was zu einer Vereinheitlichung der Pflanzengesellschaften und damit zu einem Rückgang der Insektenvielfalt führt.

Genaue Zahlen zur Biomasse in Österreich fehlen bzw. sind nicht eindeutig. Die Gesamt-Artenanzahl bleibt relativ gleich.
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Besonders gefährdet sind Arten, die an feuchte Lebensräume wie Fließgewässer, Quellen oder Moore gebunden sind. Das zeigt auch die 2020 publizierte Umweltbundesamt-Studie "Insekten in Österreich", die vom Klimaschutzministerium beauftragt wurde. Schadstoffeinträge durch Abwässer sowie Gewässerverbauungen und der damit einhergehende Lebensraumverlust sind dafür ausschlaggebend.

Gefürchtete Spritzmittel

Letzterer wird am häufigsten für das weltweite Insektensterben verantwortlich gemacht werden. Vor allem intensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen haben den meisten Insekten nichts zu bieten. Abhilfe schaffen sogenannte Sonderstrukturen: Das können Brachflächen sein, aber auch einzelne Bäume, Hecken oder Blühstreifen. Sie stehen den Landwirtschaftsmaschinen zwar oft buchstäblich im Weg, bieten aber verschiedensten Insekten dringend benötigte Zufluchtsorte während Mahd, Pestizidausbringung sowie im Winter. Wo sie ausgeräumt werden, sinkt die Insektenvielfalt merklich. Flächenverluste durch Verbauung tragen das ihrige zum Verlust an Artenvielfalt bei.

Dazu kommen extrem wirksame Pestizide, allen voran die berüchtigten Neonicotinoide, deren Einsatz im Freiland in der EU 2018 verboten wurde. Über die Ausbringung von Insektiziden in Österreich gibt es kaum verlässliche Daten, doch weisen biologisch bewirtschaftete Äcker eine höhere Dichte an Heuschrecken auf als herkömmlich bewirtschaftete. Seit dem Verbot der Neonicotinoide gibt es zudem wieder mehr Tagfalter auf den Feldern.

Heimische Marienkäfer haben es schwer, nicht zuletzt weil eine asiatische Art eingeschleppt wurde.
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Und dann ist da noch der Klimawandel. Häufiger werdende Extremereignisse, wie Dürre-, Hitze- oder Kälteperioden können auch Insekten Probleme bereiten. Zwar sind die meisten imstande, vorübergehende Bestandseinbußen durch folgende Massenvermehrungen wettzumachen, doch bei einer Anhäufung von ungünstigen Bedingungen, wie das etwa in den Extremsommern 2018 und 2019 der Fall war, können manche Populationen an den Rand ihrer Kapazitäten und darüber hinaus geraten.

Hummeln weichen aus

Der Erhöhung der Durchschnittstemperaturen können sich kälteliebende Insekten zumindest in den Bergen entziehen, indem sie weiter hinauf wandern: So verschob sich das Verbreitungsgebiet von Hummeln in den französischen Pyrenäen in den vergangenen 115 Jahren massiv nach oben: im Extremfall der Bergwaldhummel (Bombus wurflenii) um mehr als 300 Meter. Auch in den Hohen Tauern hat sich die Zahl der Hummel-Arten erhöht.

Die steigenden Durchschnittstemperaturen ermöglichen aber auch Arten die Ansiedlung, die durch den Menschen meist unabsichtlich in ein ursprünglich unerreichbares Gebiet verbracht werden. Manche davon können in der neuen Heimat zum Problem werden, etwa als Verbreiter von Krankheiten. So konnte sich etwa die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus), die unter anderem das Chikungunyafieber überträgt, in einigen EU-Staaten dauerhaft etablieren. In Österreich gibt es bislang nur Einzelmeldungen der Art.

Marienkäfer-Invasion

Für Menschen ungefährlich, aber ein Feind für andere Insekten ist der Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis): Er wurde zur Schädlingskontrolle in Glashäusern eingeführt, fand aber den Weg ins Freie. In weiten Teilen Europas wie auch in Österreich ist er mittlerweile extrem häufig. Leider verdrängt bzw. frisst er die heimischen Marienkäfer. Völlig harmlos ist hingegen die bis zu zwei Zentimeter große Amerikanische Zapfen- oder Kiefernwanze (Leptoglossus occidentalis), die seit 2005 bei uns zu finden ist. Sie sammelt sich zur Überwinterung gerne in großen Scharen an. Gelangt sie in menschliche Behausungen kann sie mit Schaufel und Besen unkompliziert entfernt werden.

Unabhängig davon, ob uns Insekten genehm sind oder nicht, erfüllen sie wesentliche Aufgaben im Naturhaushalt, aber auch in der Land- und Forstwirtschaft, wie etwa die Bestäubung und biologische Schädlingskontrolle. Gleichzeitig sind sie Nahrungsgrundlage für jede Menge anderer Tiere, wie Vögel oder Fledermäuse, die bei einem massiven Insektenrückgang zwangsläufig ebenfalls seltener werden. Maßnahmen zur dauerhaften Erholung von Insektenbeständen schützen daher auch die gesamte restliche Natur. (Susanne Strnadl, 9.11.2022)