Sehr viele Leserreaktionen auf die Meldungen über die aktuelle Journalismus-Politik-Verhaberung lauten auch im STANDARD-Forum: "Das machen alle." Und: "Das war schon immer so."

Nein, das machen nicht alle. Wer das behauptet, will meist den kritischen Journalismus an sich heruntermachen.

Aber ja, das war manchmal auch früher so. Und doch war es früher anders. Ein kleiner Ausflug in die österreichische Mediengeschichte soll eine Erklärung liefern; und am Ende soll skizziert werden, was jetzt geschehen muss. Österreich hatte lange Zeit einen freien, kritischen Journalismus nicht wirklich in seiner DNA. Die große staatliche Wirtschaft, die Institutionen, waren verpolitisiert. Es gab lange die "politischen Lager", in denen die Menschen lebenslang blieben, und die wollten ihre "Sprachrohre".

Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz umringt von Journalistinnen und Journalisten.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Das erschien manchen Großen in der Journalistik mehr und mehr als unerträglich. Hugo Portisch, ein in den USA geprägter Liberaler, brachte den kritischen Journalismus nach US-Vorbild in den Kurier und befreite mit dem ORF-Volksbegehren auch gleich den Rundfunk von der Parteienherrschaft. Gerd Bacher, ein aufgeklärter Konservativer, verschaffte dem ORF Qualität. Oscar Bronner, ein Liberaler mit unternehmerischem Wagemut, gründete Trend, Profil, dann den STANDARD. Das waren die "Aufklärer". Auf der anderen, der anti-aufklärerischen, Seite stand Hans Dichand, der mit untrüglichem Instinkt für die weniger noblen Instinkte der Österreicher die Krone zu einem ungeheuren Erfolg machte.

Einflussnahme

Die Politik versuchte selbstverständlich massiv Einfluss auf die Medien zu nehmen. Aber es gab einen Unterschied zu heute: Es ging nicht nur allein um Macht, sondern auch um Inhalte. Und markante Politikerpersönlichkeiten wirkten auch ohne Posten-Deals. Bruno Kreisky war ein großer Reformer, der auch konservative Journalisten überzeugte. Alois Mock beeindruckte durch seine Europavision. Franz Vranitzky durch seine Krisenkompetenz und seine aufklärerische Haltung in Sachen NS-Vergangenheit und Rechtspopulismus. Selbstverständlich waren sie auch Machtpolitiker. Aber nicht nur, wie die Kurz-Clique, die vor fünf Jahren an die Macht kam.

Wer keine Inhalte hat, muss sich auf Inszenierung verlassen. Und auf Mikromanagement bis in die Redaktionen hinein. Bei Sebastian Kurz merkte man als erfahrener Journalist bald die Leere. Daher bot er einerseits selbst den Medien erstaunliche Nähe und Zugang an, intervenierte aber gleichzeitig in die Medien hinein – mit Drohung und/oder Bestechung. Er fand bei manchen willige Helfer, das wirkt jetzt nach.

Manche üblen Sitten gehen lange, dann gehen sie plötzlich nicht mehr. Hier halten wir nun. Es hat sich übrigens einiges zum Besseren gewendet. Unter Hans Dichand konnte vor rund 30 Jahren eine Kolumne des überaus populären "Staberl" erscheinen, in der die Vergasung der Juden massiv relativiert wurde. Diese Geisteshaltung ist heute unmöglich.

Das bedeutet für die österreichischen Medien heute zweierlei: Erstens muss der Einfluss der Politik auch formal gezähmt werden. Dazu liegen etliche Gesetzesvorhaben herum, sie sind dringend verbesserungswürdig. Zweitens müssen sich etliche Medienhäuser erinnern, dass es um ihre Glaubwürdigkeit geht. Man kann eine Linie haben, aber Deals mit der Macht rächen sich. Sie desavouieren die große Mehrheit in den Redaktionen, die trotzdem anständig ihre Arbeit macht. Aufklärung ist die Kernfunktion ernstzunehmender Medien. Wer das vergisst, landet auf dem Aschehaufen der Geschichte. (Hans Rauscher, 8.11.2022)