Wien – Fünf Kakaohäferln weniger. Wer seine Milch gerne mit Ovomaltine trinkt, muss heuer Abstriche machen. Der Schweizer Lebensmittelkonzern Wander hat die Füllmenge für das zuckersüße Pulver im Juli von 1.000 auf 900 Gramm reduziert. Die Verpackung änderte sich nicht. Der Preis für Ovomaltine erhöhte sich in Supermärkten in Österreich im Oktober im Vergleich zu Februar um satte 20 Prozent.

Ein Stapel Pringles schrumpfte um mehr als sieben Prozent, während sein Preis um knapp 17 Prozent stieg. In einer Packung Doritos Nachos Sweet Chilli Pepper finden sich um zwölf Prozent weniger Snacks. Dafür zahlt man um fast 14 Prozent mehr. Der Mondseer-Käse von Woerle verkleinerte sich um 30 Gramm, kostet seit Jahresanfang im Handel jedoch um fast 24 Prozent mehr. Die Margarine Rama Original verlor gut zehn Prozent ihres Gewichts.

Preise analysiert

Die Konsumentenschutzorganisation Foodwatch hat in den vergangenen Monaten Marken bekannter Nahrungsmittelhersteller auf Preise abgeklopft. Ihr Resümee: Produzenten ließen quer durch die Branche Inhalte schmelzen, ohne die Verpackung zu adaptieren oder diese über gesetzlich verpflichtende Gewichtsangaben hinaus mit explizit klärenden Hinweisen zu versehen.

Zählen ist angesagt – oder ein genauer Blick auf die Gewichtsangabe. So manch Snack bettet sich heuer in größere Luftpolster.
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Parallel dazu seien die Preise dafür kräftig angehoben worden, zieht Foodwatch-Österreich-Leiterin Heidi Porstner Bilanz. "Durch versteckte Teuerungen werden die Konsumenten gleich doppelt zur Kasse gebeten. Das ist inakzeptabel."

Sie fordert, dass Änderungen der Füllmenge klar auf der Verpackung, an Handelsregalen oder im Onlineshop kommuniziert werden. "Wenn man auf Produkte ‚20 Prozent mehr Inhalt‘ schreiben kann, so ist es auch möglich, ‚20 Prozent weniger Inhalt‘ draufzuschreiben." Es gehe um keine riesigen, aber um relevante Mengen, die preislich ins Gewicht fallen. "So viel Ehrlichkeit muss sein."

Argumente für Shrinkflation

Wie argumentieren Hersteller die sogenannte Shrinkflation? Ovomaltine-Produzent Wander spricht von massiven Kostensteigerungen quer durch die Lieferkette: Man hätte die Abgabepreise an den Handel erhöhen müssen, entschied sich aber für eine Reduktion des Packungsinhalts. Denn es sei für viele Konsumenten einfacher, etwas weniger zu kaufen, als mehr dafür zu bezahlen.

Doritos sind eine Marke von PepsiCo. Bei Impulsartikeln wie Snacks kauften die Konsumenten nicht auf Gramm. Sie hätten die Möglichkeit, dafür gleich viel auszugeben, erläutert man bei Maresi Austria, über die Doritos vertrieben werden.

Woerle erklärt die Anpassungen mit neuen Käseformen, die für weniger Schnittverlust sorgten, sowie nachhaltigeren Verpackungen. Darüber hinaus wird auf teurere Rohstoffe und Energie verwiesen. Ähnlich der Ton bei Rama, wo verbesserte, aber kostspieligere Rezepturen ins Treffen geführt werden.

Kein Spielraum mehr

Alle vier Unternehmen betonen, dass die endgültigen Verkaufspreise ihrer Produkte stets im Ermessen der jeweiligen Einzelhändler liegen. Aus Porstners Sicht lassen sich etliche Preiserhöhungen für Lebensmittel sachlich nicht rechtfertigen. "Es ist offensichtlich, dass auch der Handel nicht durchgängig, aber immer wieder was oben draufschlägt."

Für Spar-Sprecherin Nicole Berkmann liegt der Ball hingegen bei der Industrie: Diese entscheide darüber, wie sie ihre Produkte positioniere. Spar selbst versuche steigende Preise bei zugleich schrumpfenden Verpackungen abzuwenden, versichert sie. "Shrinkflation irritiert Kunden."

Teuerungsdilemma

Hersteller steckten seit mehr als einem Jahr im Teuerungsdilemma, gibt Katharina Koßdorff, Chefin des Lebensmittelindustrieverbands, zu bedenken. Ob Rohstoffe oder Energie, Logistik oder Verpackung – die Preise dafür seien zwei- bis dreistellig gestiegen. Die Branche habe das lange allein geschultert, mittlerweile aber seien die Reserven erschöpft und alle Spielräume ausgereizt. Gelinge es nicht, sich mit Händlern auf höhere Preise zu einigen, bleibe als letzter Exit mitunter nur, Füllmengen zu reduzieren, um Produkte nicht verteuern zu müssen.

Wobei keine Rede davon sei, dass dies nicht klar ausgeschildert werde, wie Koßdorff betont: Der Grundpreis eines jeden Lebensmittels im Handel wird zu 100 Gramm, einem Kilo oder Liter am Regal ausgezeichnet. So will es der Gesetzgeber. Auch Mogelei schiebt dieser einen Riegel vor. Jedenfalls zwei Drittel einer Verpackung müssen gut gefüllt sein. Hersteller, die ihrer Ware mehr Luft einräumen, etwa um diese vor dem Zerbröseln zu schützen, riskieren, wegen potenzieller Irreführung angezeigt zu werden. Süßwarenspezialist Manner weiß rund um seine Mozart-Mignon-Schnitten ein Lied davon zu singen.

Shrinkflation ist jedenfalls keine Erfindung aus aktueller Not heraus. Die Industrie übt sich in ihr in vielfältigsten Formen seit Jahrzehnten. Es gilt, psychologische Preisschwellen im Kopf der Konsumenten tunlichst nicht zu überschreiten. Ob etwas 4,99 Euro oder 5,10 Euro kostet, entscheidet wesentlich darüber, ob es im Einkaufswagerl landet oder nicht. In Falle von Markenware liegt die günstigere Handelsmarke in der Regel gleich griffbereit daneben.

Mündige Konsumenten

Wie Koßdorff und Berkmann hält auch Christof Kastner, Großhändler und Vizeobmann des Lebensmittelhandels der Wirtschaftskammer, wenig davon, Produkten zusätzliche Kennzeichnungen zu verpassen: Jedes weitere "Pickerl" stifte nur noch mehr Verwirrung, warnt er. Es brauche nicht mehr Regularien, die Lebensmittel weiter verteuerten.

Natürlich sei wie überall manches verbesserungswürdig, in jeder Branche gebe es Trittbrettfahrer, meint Kastner. "Wir reden jedoch immer noch von mündigen Konsumenten." Wer in der Lage sei, seinen Bundespräsidenten zu wählen, der dürfe im Supermarkt nicht wie ein kleines Kind behandelt werden. Foodwatch sieht das anders. In der Praxis sei es für Kunden keineswegs nachvollziehbar, wie stark sich Produkte verteuerten. Dafür müsse man schon Listen führen, ist Porstner überzeugt. Was die Gesetze zum Schutz der Konsumenten betreffe, so seien viele davon Minimallösungen und zu wenig verbraucherfreundlich. Ob Informationen über Produkte irreführend seien, sei juristisch keineswegs eindeutig, ergänzt sie. Entsprechend groß sei der Aufwand, etwaige Mogeleien aufzudecken.

Unter Beobachtung

Foodwatch Österreich ruft nun Konsumenten zu einem E-Mail-Protest für eine transparentere Kennzeichnung auf. Unter Beobachtung steht Österreichs Lebensmittelbranche derzeit von mehr Seiten, als ihr lieb ist. Die Wettbewerbsbehörde nimmt die rasant gestiegenen Preise als Anlass für eine tiefgehende Analyse der gesamten Wertschöpfungskette.

Hinter den Kulissen toben bisher nie dagewesene Machtkämpfe zwischen Handel und Industrie, die in der Auslistung prominenter Labels gipfeln. Mars stellte etwa die Belieferung der Rewe ein. Um Kompromisse wird international gerungen. (Verena Kainrath, 8.11.2022)