Intendant Peter Paul Kainrath setzt auf Dialog mit außereuropäischen Szenen.

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Der Vorgänger von Peter Paul Kainrath als Intendant des Klangforums Wien, Sven Hartberger, bezeichnete den einstigen Kulturminister Gernot Blümel als "Schlafminister". Nicht Kainraths Stil. Obwohl: Geht es um Zeitbefund und Kulturdiagnose, wird auch der Mann aus Bozen (Jahrgang 1964) deutlich: Das Publikum habe vielerorts "eine jahrzehntelange, beinahe rituelle Treue zum klassischen Musikbetrieb" aufgekündigt. Gesellschaftspolitisch "wichtige Themen wie Gender und Dekolonisation" hätten ästhetisch-künstlerische Fragen "in den Orbit der Bedeutungslosigkeit geschossen".

Eigene Relevanz beweisen

Die Künstlerschaft "muss beinahe ständig die eigene Relevanz gegenüber einer zunehmend kunstdesinteressierten Medienöffentlichkeit beweisen. Berufung und Passion scheinen keine Werte mehr sein zu dürfen", so Kainrath. Es ginge darum, Spitzenleistung in der Musik in ihrem Wert zu behaupten, statt sich dem "erhitzten Kommentieren des tagespolitischen Geschäftes zu widmen".

Wenn er schon dabei ist, thematisiert Kainrath auch den Hang zur Regionalisierung. Eine der Auswirkungen der Pandemie und des Krieges in der Ukraine seien Bestrebungen, "dem Kulturleben die Internationalität streitig zu machen. Die wichtige Befragung der Globalisierung und ihrer Auswirkungen darf nicht dazu führen, dass die Kultur zum Gehege sich selbst bespiegelnder Kleinstszenen wird."

Präpandemisches Niveau

Quantitativ betrachtet arbeitet das Ensemble selbst aber auf festem Grund. Bei einem Gesamtbudget von 3,3 Millionen Euro kommt knapp die Hälfte der Förderungen aus der öffentlichen Hand. Der Rest wird durch operative Tätigkeiten des Klangforums erwirtschaftet, also Stiftungsgelder, Konzerte und Sponsoring. Misst man das Interesse an jenem Abozyklus, den es im Wiener Konzerthaus bietet, ist es mit annähernd 540 Abonnenten sogar auf präpandemischem Niveau.

Der Titel der Aboreihe, "Bruch.Punkt", meint einerseits "Aushöhlung, Ermüdung, Abnutzung", andererseits aber auch jenen Moment, von dem aus – auch das Klangforum – zu Neuem aufbricht: "Viele im Ensemble trauern mit Recht den goldenen Zeiten nach, als wir bei internationalen Festivals oder Opernhäusern an der Entwicklung neuen Musiktheaters beteiligt waren." Dies sei immer weniger der Fall und gelte wohl auch "für unsere Mitbewerber", so Kainrath. Daher seien Partnerschaften wie etwa jene mit dem Adam-Mickiewicz-Institut in Warschau wichtig. Sie betreffen Kompositionsaufträge, Konzerte, Aufnahmeprojekte. Essenziell wären auch Konzertresidenzen – wie jene an der Suntory Hall in Tokio – oder inhaltliche Bewegung. Das Klangforum träte vermehrt mit Szenen in den Dialog, "die nicht immer dem europäisch zentrierten Musikbegriff verbunden sind".

Credo: Maximal viel zulassen

Das kann riskant sein, nicht alles könne gelingen, sagt Kainrath. "Mein persönliches Credo ist allerdings, maximal viel zulassen, weil das Klangforum Wien auch "Alle meine Entlein" so spielt, als würden sie vor einem funkelnden Meisterwerk der Gegenwart stehen." Die allgemeine "Ermattung im Kulturbetrieb" heile man jedenfalls nicht mit der Sehnsucht nach den guten alten Zeiten.

Kainrath hebt Projekte hervor: "Wenn Thomas Hampson und Bas Wiegers eine transatlantische Reise unternehmen und mit neuen Bearbeitungen von Mahler und Ives zurückkommen, wenn Komponist Bernhard Lang in den Warschauer Ringelblum-Archiven Texte für sein neuestes Werk für das Klangforum Wien findet – dann sind das sehr starke Bilder unseres aktuellen Weltgebäudes. Das hat nichts Elitäres, Abgehobenes."

Eine Erweiterung der Erfahrungsräume versucht man auch mit der unlängst in Erl uraufgeführten Amopera. Zusammen mit der Needcompany entstand ein Stück, das mit Ausschnitten aus über 90 Opern die Geschichte des Neuen in der Musik erzählt und auch das spielende Kollektiv in Bewegung versetzt.

Dann geht es zurück in die Hauptstadt zum Festival Wien Modern, wo das 1985 vom Komponisten Beat Furrer gegründete Ensemble seine Bilanz weiter ausbauen wird. Bis dato hat es so an die 600 Werke uraufgeführt. (Ljubiša Tošic, 9.11.2022)