"Von Schockstarre in Erneuerungsoffensive", empfiehlt Stiftungsrat Heinz Lederer dem ORF.

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Wien – ORF-Stiftungsrat Heinz Lederer sieht nach der Chat-Affäre "sehr sorgenvoll" den anstehenden Verhandlungen über die künftige ORF-Finanzierung via GIS-Gebühren, eine Haushaltsabgabe oder – was er ablehnt – eine Budgetfinanzierung entgegen. Er verlangt im Gespräch mit dem STANDARD: "Der ORF-Generaldirektor soll sich bei den Gebührenzahlern entschuldigen."

"Radikal" reduzierte Nebenjobs

Lederer fordert Erklärungen der ORF-Führung über Deals mit der ÖVP/Grünen-Regierung. Und er wünscht sich eine international besetzte Kommission, um für den ORF und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neue Verhaltensregeln – einen "Code of Conduct" – zu formulieren für den Umgang von Journalistinnen und Journalisten mit politischen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen, mit "radikal" reduzierten Nebentätigkeiten wie Moderationen und "klareren, schärferen Social-Media-Regeln".

Der von der SPÖ entsandte Stiftungsrat sähe "am liebsten gar keine Nebentätigkeiten" von ORF-Journalistinnen und ORF-Journalisten mehr. Er spricht hier von Moderationen, Jurytätigkeiten, Medientrainings etwa für Unternehmen, die er "Verführungsbrücken" nennt.

Vertrauensverlust und "Schockstarre"

Lederer fürchtet, dass der ORF "massiv Gebührenzahler" und weiter auch Vertrauen verlieren werde und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die "innere Emigration" gingen. Der ORF verliere mit den "katastrophalen" Chats von Matthias Schrom mit Heinz-Christian Strache einen "ausgezeichneten Journalisten", dessen fachliche Arbeit er immer geschätzt habe.

Schrom habe als TV-Chefredakteur den 2022 bezogenen gemeinsamen Newsroom für TV, Radio und Online besonders nachdrücklich vertreten. "Ich bin gespannt, ob dieser gemeinsame Newsroom weiter gelebt wird", sagt der ORF-Stiftungsrat – er sieht diesen Newsroom als Idee "auseinanderfallen".

Der ORF müsse nun aus einer "Schockstarre in eine Erneuerungsoffensive" kommen. Der Rücktritt Schroms als Chefredakteur reiche nicht aus.

"Repositionierungskampagne"

Die vom ORF gerade vorbereitete Imagekampagne soll nach Ansicht Lederers nun "gestoppt und neu überlegt werden". Der ORF brauche nach den jüngsten Ereignissen eine "Repositionierungskampagne", er müsse "aus Fehlern lernen".

Erklärung der Sideletter von ÖVP und Grünen

Lederer will bei der nächsten Sitzung des Stiftungsrats eine Erklärung der gesamten Geschäftsführung des ORF bezüglich der Sideletter der ÖVP/Grünen-Regierung zum ORF verlangen: "Was haben der Generaldirektor und die Direktoren von den Sidelettern gewusst, was haben sie inhaltlich und personell zur Umsetzung der Sideletter beigetragen, welche Zugeständnisse wurden gegenüber der türkis-grünen Regierung gemacht." Und: "Mit wem in der Regierung wurden Gespräche geführt, die zu diesen unschönen und verwerflichen Sidelettern geführt haben?"

"Wir dürfen nicht nur in die Vergangenheit schauen", spielt Lederer auf die Sideletter der ÖVP-FPÖ-Regierung zum ORF aus dem Jahr 2017 an, in denen etwa die Senderchefs von ORF 1 und ORF 2 ausgemacht wurden sowie ihre Chefredakteure. Schrom wurde wenige Monate danach Chefredakteur von ORF 2, wie in einem dieser Sideletter vereinbart.

ÖVP und Grüne vereinbarten in ihren bisher bekannten Sidelettern zum Koalitionsabkommen, dass die Grünen den Vorsitz im Stiftungsrat übernehmen – im Frühjahr 2022 wurde Lothar Lockl Vorsitzender, als Vorgänger Norbert Steger (FPÖ) aus dem obersten ORF-Gremium ausschied.

Sie vereinbarten, dass die ÖVP das Nominierungsrecht für den ORF-General und zwei Direktorenjobs hat – 2021 wurde Roland Weißmann zum Generaldirektor bestellt, Ingrid Thurnher zur Radiodirektorin und Harald Kräuter zum Technikdirektor. Die Grünen nominierten Eva Schindlauer (Finanzen) und Stefanie Groiss-Horowitz (Programm). (fid, 10.11.2022)