Cyril Vergniol, Innenarchitekt für gut betuchte Kundschaft.
Foto: Benjamin Didier

Es ist ein Bauprojekt, von dem zurzeit ganz Manhattan spricht: Die Umwandlung des Art-déco-Skyscapers "One Wall Street" (OWS) von 1931 gilt als größte Office-to-Condo-Konvertierung der Stadtgeschichte. Das heißt: Wo früher die Köpfe von Bankern der Irving Trust Company über Aktienkursen rauchten, logieren heute Weltbürger mit hohen Ansprüchen an Ambiente, Komfort und Lage – und mit dem nötigen Kleingeld dafür.

Die kleinste Einheit der 566 Eigentumswohnungen ist ab rund 1,6 Millionen Dollar zu haben, für die teuerste – ein dreistöckiges Penthouse in der 54. Etage – muss man etwa 60 Millionen hinlegen. Dazwischen eröffnen Appartements wechselnder Größen verschiedene Ausblicke: zur Freiheitsstatue oder in den Seaport District, zum Hudson River oder bis nach Long Island. Um den Verkauf der illustren Appartements anzukurbeln, ließ Bauunternehmer und Real-Estate-Developer Harry Macklowe, ambitionierter Gegenspieler von Donald Trump, einige Wohnungen als Designertraum einrichten.

Stilistisch die Kante zeigen

Hinter solchen "Beispielwohnungen" steht eine eigene Zunft: das Homestaging. Vollmöblierte und durchkomponierte Wohnlandschaften, die manch fantasielos-überbeschäftigtem Kaufinteressenten den Standort schmackhaft machen sollen. Garniervorschläge also, Köder, Appetizer, Lockmittel oder – wie in diesem Fall – eine Komplettlösung, die auf Wunsch mitsamt Inventar zu erwerben ist.

Beim Schlafen an den Wolken kratzen im "One Wall Street".
Foto: DBOX for Macklowe Propertie; Colin Miller für Macklowe Properties

Im Türspalt eines dieser Designerappartements steht Cyril Vergniol, Chef des Innenarchitekturbüros Stylagos aus Paris. Dunkles Shirt, dunkle Hose – Vergniol wirkt auf den ersten Blick eher unprätentiös. Gerade noch hat er am Arrangement einiger Dekoobjekte gefeilt, nun führt er die Besucher in den gediegenen, nach Farbe riechenden Wohnbereich. Ein langgezogenes Sofa fungiert mittig als Sitzgelegenheit, Raumteiler und Buchablage, niedrige Sessel in Cremeweiß verströmen Mid-Century-Flair. Von ihnen aus blickt man auf die offen gestaltete Miele-Küche mit dem imposanten Arbeitsblock.

Vergniol sagt: "Ja, eigentlich liegt es in der Natur des Homestaging, verschiedene Geschmacksrichtungen zu vereinen oder zu bedienen. Doch im Grunde mache ich in meiner Arbeit das Gegenteil. Ich versuche, einen starken Ausdruck zu schaffen, ob er nun positiv oder negativ empfunden wird. Statt es jedem recht zu machen und am Ende einen Ort zu haben, der diesen seelenlosen internationalen Hotels ähnelt." Dann also lieber stilistisch die Kante zeigen, als Gestalter und Heimausstatter?

Kontakte und Diskretion

Dass Vergniol mit seiner Strategie gut fährt, beweisen zahlreiche Auftragsarbeiten auf fast allen Kontinenten. Zu den wichtigsten Eigenschaften zählt in seinem Job – neben Stilgefühl, natürlich – ein gerüttelt Maß an Diskretion: Namen, Kunden oder Auftraggeber nennt Vergniol nicht. Nur das verrät er über sich: Aufgewachsen an der Elfenbeinküste in Westafrika, ging er später in Frankreich aufs Internat und machte einen Abschluss an einer Business-School. "Mein Metier habe ich dann als Partner von Alberto Pinto gelernt, der damals eines der wichtigsten Interior-Design-Studios Frankreichs führte. Nach 15 Jahren Zusammenarbeit habe ich 2004 meine Anteile an die Pinto-Familie verkauft, um meine eigene Agentur namens Stylagos in Paris aufzubauen, nur ein paar Schritte vom Élysée-Palast entfernt. Mein erstes Projekt war ein Haus in Seoul, Korea, in Hannam Dong. Danach arbeitete ich an Objekten in Asien, in der Türkei, in den Vereinigten Staaten und auch in Europa."

Foto: DBOX for Macklowe Propertie; Colin Miller für Macklowe Properties

Zehn Mitarbeiter hat Stylagos heute, drei weitere in Athen, Griechenland. "Wir haben uns auf private Highend-Residenzen spezialisiert und auch einige Hotels gestaltet, zum Beispiel das Hotel Crillon in Paris, einige Restaurants und auch Boote unserer Klienten. All das natürlich mit hoher Diskretion und Respekt vor der Privatsphäre, man will nicht öffentlich dargestellt werden. Im Internetzeitalter ist Diskretion eine selten gewordene Besonderheit für eine Agentur. Nur im Rahmen von One Wall Street oder öffentlichen Objekten wie Hotels zeigen wir Ausschnitte unserer Arbeit."

Ein elektrischer Mix

Reden wir also über den Kern des Tuns. Was den Stil von Stylagos ausmacht? "Klassischer Chic mit einem Touch eleganter Nüchternheit, immer im Bemühen um beste Materialien und Oberflächen, manchmal in der Tradition der französischen Decorative Arts." Das Ergebnis nennt Vergniol "eklektisch" – und meint damit einen Mix aus Alt und Neu, aus zeitgenössischen Designs und Antiquitäten, aus Stilmöbeln, Fundstücken, Kunstwerken und eigenen Entwürfen, die speziell auf den Kunden zugeschnitten wurden. "Und ja, immer spielen auch die Bezüge zur jeweiligen Persönlichkeit, zu Umfeld, Ort und Architektur eine große Rolle."

"Das Homestaging haben wir tatsächlich nur für Macklowe Properties übernommen", erzählt Vergniol. "Hier wollte ich allerdings nicht einer bloßen Nachahmung von Art déco verfallen. Daher der Mix aus Vintage und zeitgenössischen Objekten wie zum Beispiel von Hervé van der Straeten, dazu Antiquitäten oder Stücke aus der New Yorker Designgalerie Maison Gérard. Über eine Wand des Appartements haben wir vertikale Elemente aus Gips gezogen, die an die Silhouetten der Wall-Street-Skyscraper erinnern. Der Wohnzimmerteppich wiederum stellt eine Hommage an die US-französische Bildhauerin Louise Bourgeois und ihre von Spinnennetzen inspirierten Werke dar. Und das Sofa erinnert an die Arbeit von Adrian de Pearsall, einem berühmten New Yorker Designer und Architekten, geboren 1925. Er muss das Entstehen von One Wall Street persönlich erlebt haben."

Im Gegensatz zu dieser ehemaligen Schalterhalle gibt es im Wolkenkratzer OWS auch gemütliche Ecken, wie man beim Designerappartement unten sieht.
Foto: DBOX for Macklowe Propertie; Colin Miller für Macklowe Properties

Jeder Auftrag eine neue Herausforderung

Neben dem nahezu enzyklopädischen Wissen über Stile braucht so ein Undercover-Stylist vor allem: beste Kontakte. Welche ihn gerne umgehend weiterempfehlen. "Ich habe Harry Macklowe zufällig bei einem Dinner in Paris getroffen. Später vertraute er uns seine Privatresidenz an. Inzwischen hat sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt, und er übergab uns viele seiner Projekte." Was all die Arbeiten von Stylagos verbindet? "Dass jeder Auftrag anders ist, eine neue Herausforderung, mit einem neuen Ergebnis. Wir übertragen stilistisch nichts und entwerfen zudem eigene, individuelle Stücke für jedes Projekt. Noch in diesem Jahr werden wir eine Kollektion von Möbeln und Leuchten lancieren, gemacht aus recyceltem Glas und auf sehr brutalistische Weise umgesetzt."

Wer dann doch noch nachhakt, bekommt schließlich eine Liste vorgelegt mit Vergniols realisierten Projekten, erwähnt sind jeweils nur Standort und Umfang. Diese Liste ist lang: Neben Beratung und Entwürfen für Christian Dior Home Collection und Fendi Casa finden sich Projekte in Paris, London und Moskau, Miami und Istanbul, auf den Kykladen oder in der Schweiz, dazu die Interieurs von Booten zwischen 82 und 130 Fuß.

Schickes Innenleben

Was Cyril Vergniol gereizt hat am Projekt One Wall Street? "Für mich als Frenchman ist OWS einer dieser für New York so typischen Wolkenkratzer, die man seit Kindheitstagen im Kopf hat. Das vom Architekten Ralph T. Walker geplante Bankgebäude war ursprünglich erdacht, Macht und Stärke der amerikanischen Wirtschaft zu demonstrieren. Jetzt hat es ein neues, ganz anderes Innenleben bekommen." Mit ziemlich schickem Inventar.

Aktuell fliegt Vergniol zwischen den USA, Marokko, China und London hin und her. Auf der To-do-Liste: ein Triplex an der Fifth Avenue, ein Haus in den Hamptons, ein neues Hotel in Marrakesch, Ferienhäuser auf den Inseln Paros und Antiparos. Aber eigentlich ist das – genau – ziemlich geheim. (Franziska Horn, RONDO, 5.1.2023)