Juan Son ist ein echter Sohn Floridsdorfs, zeigen will er sich nicht.

Foto: Juan Son

So wirklich berühmt ist er vielleicht doch nicht. Denn hier, beim Stehbuffet, kennt ihn keiner. "Huan-wos?", fragt der Mann, der sich einen Tick zu fest an seinem Rotwein-Stifterl festklammert. Obwohl es noch Vormittag ist, stehen schon zwei leere da. Sie teilen sich den Tisch mit einem übervollen Aschenbecher, einer Bierdose und einer Bierflasche. Deren Besitzer heben den Blick. "Oida, wüst uns vaoschn? Redt noch da Schrift – und fragt noch an Huanson: Putz di, und zwoa Tschennifa!" Plötzlich riecht es nicht nur nach kaltem Alkohol und Klischees, sondern auch dem soeben offerierten "Packl Haustetschn": Dass am "Stehbuffet am Franz-Jonas-Platz" ein gewisser Juan Son Promi oder Volksheld ist, wäre also falsifiziert.

Das macht nichts. Nicht nur in Floridsdorf will die autochthone, alle Klischees bestätigende Klientel des kleinen Tschocherls am großen Umsteigeknotenpunkt mit diesem Namen nicht in Berührung kommen: Ihn laut auszusprechen wagte ja nicht einmal die Zeit im Bild, als dort einst Werk und Wirken dieses Sohnes des Flächenbezirkes Thema waren. Wobei die Sache kompliziert ist: Juan Son existiert nämlich gar nicht. Nicht in Floridsdorf. Nicht sonst wo in Wien – und ziemlich sicher auch nicht anderswo im Land. Jedenfalls nicht in der wirklichen, der realen Welt.

Im Web, auf Instagram, ist das anders. Dort ist Juan Son leicht zu finden. 20.000 folgen ihm derzeit. Für einen klassischen "Influencer" keine gigantische Reichweite, doch der Transdanubier spielt das digitale Spiel von Reich und Weite sehr bewusst sehr anders als seine Kolleginnen und Kollegen. Deren Trachten und Streben ist die globale wie lukrative Vermarktung ihrer Gesichter. Doch wie der Floridsdorfer mit dem in TV und Radio unaussprechlichen Pseudonym tatsächlich heißt oder aussieht, weiß kaum jemand. Dennoch gehen seine Memes, seine Bilder und seine Beobachtungen oft "viral" – sogar wenn er sie nur weiterreicht: Die "Wut"-Oma, die im Frühherbst in der U6 pöbelte, wurde nicht zuletzt über seine Plattform zu einem "Welthit".

Das Gspür für Alltagsthemen

Denn neben reiner Reichweite zählt auch, wer wem folgt: Bei Wien-Beobachterinnen und -Beobachtern hat sich längst herum gesprochen, dass Juan Son ein Gspür für das hat, was dort passiert und interessiert, wo das Leben ungeschönt, direkt und ungefiltert stattfindet. An Orten wie dem "Stehbuffet". In der U6. Zwischen Solarium, Tankstellenparkplatz und Fußballkäfig im Gemeindebau.

Juan Son greift auf. Macht sogenannte Memes daraus. Mit einem Wording, das oft grenzwertig-direkt ist. Fernab aller Political und Gendersprech-Correctness – oder gar Wokeness. Deshalb treffen seine überzeichneten Memes, diese bissigen Online-Polaroids aus einer Welt von sportwettenlokalsüchtigen, alkohol- und gewaltaffinen Männern und solariumfixierten, oberflächlichen Frauen, deren Horizont und Lebensziele von Junkfood, Sozialhilfe und Kabelfernsehen abgedeckt werden, meist einen Punkt.

Ein Punkt ist per definitionem nicht global – sondern lokal. Juan Son sieht sich selbst als Regional-Fluencer. Seine Kurzgeschichten handeln meist von Images und Bildern, die Floridsdorferinnen und -dorfern seit jeher um die Ohren fliegen. Und oft auch dem Selbstbild nahe kommen: Juan Son bastelt Nachrichten im ORF-Design, wonach Wiens Stadtregierung plane, den "weniger wichtigen" Bezirken aus Energiespargründen den Strom abzudrehen. Vergleicht er Sneaker, sind Döblings Schuhe golden, die aus Floridsdorf haben ein Drogenversteck. Bezirks-Skateparks markiert er auf Google Earth als "Fetzereizentrale" ("Fetzerei" = Massenschlägerei; Anm.). Klischees und Stereotype also – so wie Juan Sons U6-Exkurse und die Verweise auf Bezirks-"Karrieren": vom Gemeindebau zum Trankler am Franz-Jonas-Platz.

Döner-Event in der U-Bahn

Natürlich ist das platt – nur halt auch nicht immer falsch: Als die Wiener Linien 2018 ihr "Dönerverbot" auf der U6 verkündeten, lud Juan Son zu einem Event. Zum "letzten Döner auf der U6". Da rückte sogar die Zeit im Bild an. Über die textlichen Pirouetten, den Namen des "Aktivisten" nicht aussprechen zu müssen, lacht er heute noch. Ebenso darüber, dass ihn bei dieser "Intervention, die die überzogene Maßnahme ebenso aufzeigte wie die Unart, andere mit Essensgerüchen zu belästigen", vor Ort niemand als Urheber der Aktion erkannte.

Aus der Anonymität heraus zu agieren, betont der Mittdreißiger, sei wichtig: "Niemand, nicht meine früheren Schulfreunde, nicht die Kids, mit denen ich im Gemeindebau spielte, und schon gar nicht meine Arbeitskollegen wissen, dass ich Juan Son bin", schmunzelt der Jurist eines großen Immobilienentwicklers, als er nach einigem Hin und Her zu einem Treffen bereit ist: "Manche von ihnen folgen mir. Einige schicken mir sogar Memes weiter, die ich online gestellt habe, während ich neben ihnen saß."

Juan Son ist ein echter Sohn Floridsdorfs: ein Gemeindebaukind mit vier Geschwistern aus einer "einfachen, aber herzlichen" Arbeiterfamilie mit väterlich steirischen, mütterlich arabischen Einflüssen. Er beherrscht das regionale Idiom, spricht in der Regel aber akzentfreies Hochdeutsch. Bildung und politisches Denken, sagt er, seien den Eltern wichtig gewesen. Sein Alter Ego begann als politische Figur, der die Rolle des Erzählers launig-unbequemer "Parallelwahrheiten einfach passiert sei": Mit Freunden habe er Juan Son "in Nazi- und Islamistengruppen, meist auf Facebook, eingeschleust. Wir haben ‚getrollt‘, dokumentiert und angezeigt." Und im Freundeskreis dar über geblödelt.

Klischees, die zutreffen

Als Juan Son 2017 eine "Umfrage" zum beliebtesten Jugendtreff Floridsdorfs machte, hieß es, die sei "zu gut, sie nicht öffentlich zu machen". Die "Umfrage" war schlicht: "OMV oder BP?" Aber wirklich lustig, sagt ihr Erfinder, sei die Frage nicht: "Bis heute treffen sich die Kids an den Tankstellen – mit als auch ohne Auto: Es gibt sonst nix."

Genau das, betont der Meme-Produzent, unterscheide die beiden transdanubischen Flächenbezirke Donaustadt und Floridsdorf: Während der 22. mit Donaupark, Seestadt, Lobau und der Uno-City assoziiert werde, bestehe der 21. in der Wiener Wahrnehmung aus dem Franz-Jonas-Platz, der Prager und der Brünner Straße: "Dreimal Elend, dreimal schiach." Dass Stammers- oder Jedlersdorf Immobilienpreise auf Hietzinger Niveau haben, wird ausgeblendet. Auch die Schönheit der Region um den Bisamberg verspiele sich, sobald man über die Donau, "in die Stadt" pendeln muss. Diese Klischees dann aufzugreifen und, "weil es ja da ist", auch zu überzeichnen, betont der Regio-Fluencer, sei legitim. "Juan Son steht nicht drüber – er ist authentisch, sagt, was er sieht und spürt."

Geld für den "U6-Survivor"

Das erregt mittlerweile auch das Interesse des "Establishments": Der Mann hinter Juan Son weiß, dass "der Bezirksvorsteher mit mir reden will". Dass Georg Papai, Floridsdorfs Vorsteher, Juan Eulenspiegel eventuell längst kennen könnte, sei "natürlich auch möglich", lacht der Instagrammer. Ob der SP-Politiker da etwas ahnt, bleibt aber unklar: Der Bezirksvorsteher hatte für den STANDARD keine Zeit.

Der Meme-Produzent ist sich aber ohnehin nicht sicher, ob ein politisches Händeschütteln nicht ein erster Schritt zur Vereinnahmung wäre: Juan Sons Arbeit wird schließlich längst monetarisiert. T-Shirts und Tassen (von "Ich bin ein Juan Son" bis zu "U6 -Survivor") gibt es – und beim Floridsdorfer Eis salon Maestro zeichnete der Blogger heuer für zwei Eissorten verantwortlich: Eine hieß nach ihm, die andere Yellow Snow.

Alle Erlöse ("doch ein paar tausend Euro") gehen an Charityprojekte: "Der Moment, in dem ich an Juan Son verdiene, ist der Moment, in dem er stirbt", betont der Jurist. Auch die, mit denen er zusammenarbeite, würden sein Gesicht, seinen Namen oft gar nicht kennen: "Manche wissen nicht einmal, dass es mich tatsächlich als Person gibt."

So wie die Männer beim Stehbuffet am Franz-Jonas-Platz: Dass einige von ihnen am "Floridsdorfer Nationalfeiertag" (12. 10., wegen der Postleitzahl natürlich) Teil der von Juan Son ausgerufenen Feiertagsaktion "Leersaufen des Stehbuffets" waren, war ihnen vielleicht gar nicht bewusst: Die Aktion spielte aber 600 Euro für den Samariterbund ein – und darauf sind die Männer vom Stehbuffet dann doch irgendwie stolz. Doch ob da vielleicht auch ein Juan Son mit ihnen getrunken hat, werden sie nie erfahren: Es spielt keine Rolle. (Thomas Rottenberg, 15.11.2022)