"Fata Morgana" von Peter Schreiner, derzeit im Filmarchiv.

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Wenn man eine Geschichte der Männlichkeit in Österreich in der Zweiten Republik schreiben wollte, dann wäre der Filmemacher Peter Schreiner zum Beispiel ein ganz hervorragender Protagonist. Man nehme nur seine beiden frühen Arbeiten "Erste Liebe" (1983) und "Auf dem Weg" (1988) nebeneinander. In "Erste Liebe" gibt der Schlager "Du hast Glück bei den Frau'n, Bel Ami" zuerst einmal keineswegs die Richtung vor. Zu sehen ist eher so etwas wie eine Männergruppe, ein paar versprengte Vertreter ihres Geschlechts, von denen einer auch ausdrücklich hören lässt: "Ich bin Mann, will Mann bleiben."

Dass das allein "keine Lebenseinstellung" ist, könnte man sicher unterschreiben, bedarf bei Schreiner aber eben der kontinuierlichen filmexperimentellen Überprüfung. Zum Beispiel durch – immer noch "Erste Liebe" – Gespräche über Träume, in die sich Lektüren (Freuds Aufsatz über ein geschlagenes Kind) und Selbstbefragungen (über das Onanieren oder Wichsen) mischen.

Medium der Reflexion

In "Auf dem Weg", wenige Jahre später, sieht man Schreiner mit einem (wohl seinem) Kind, dem er eine Kamera zeigt – oder der Kamera das Kind, je nachdem, wie man es sehen will. Das Kino diente dem 1957 geborenen Wiener von seinen künstlerischen Anfängen an als ein Medium der Reflexion, der Erfahrung, der Herstellung von Gemeinschaft. Reisen spielten dabei eine große Rolle, Reisen zu sich selbst oder an exponierte Orte, an denen man sich stärker begegnet: in der Wüste oder im höheren Norden. In "Erste Liebe" verbinden sich die Geräusche eines fahrenden Zuges, wie sie in den 80er-Jahren noch zu dieser Fortbewegungsform gehörten, mit imposanten Nebelmeeren, die wie ein Gegen-Jesolo wirken – nicht der Massentourismus interessiert Schreiner, sondern das Eigenfremde, zu dem sich jedes Menschenwesen irgendwann auf den Weg macht.

Das Filmarchiv Austria öffnet mit seiner Retrospektive der Filme von Peter Schreiner einen ganzen Kosmos. Denn die Horizonte, die sich hier öffnen, sind nun einmal sehr groß gezogen, ob das nun die ewige Beziehung zwischen dem Mond und der weiblichen Fruchtbarkeit ist (in "Auf dem Weg") oder das Motiv des Paradieses zuletzt in seinem Film "Garten", einem wie vegetativ wachsenden Gespräch über Sterblichkeit.

Kamera als Ruhepunkt

Die Filme haben häufig etwas Symposionales, sie sammeln Stimmen zu einem Gastmahl und geben deren Körpern einen Ort. In "Fata Morgana" (2012) wird das ganz ausdrücklich angesprochen: "Der Mensch muss einen Bezugspunkt finden", muss aber auch den Mut haben, "eine Ruhe auszuhalten". Die Kamera ist bei Schreiner auch meist ein Ruhepunkt, er arbeitet aber gern mit prononcierten Anschnitten. Gesichter sind für ihn Landschaften, in seiner Werkchronologie sieht man auch eine Generation älter werden – es ist vermutlich die Generation in der österreichischen Geschichte, die erstmals zu künstlerischen Selbstbefragungen wie der von Schreiner in größerem Maß Gelegenheit hatte.

Das Filmarchiv Austria hat für die Retrospektive drei frühe Filme restauriert (weitere sollen folgen), zudem hat der enthusiastische Kurator Olaf Möller ein Buch über Schreiner geschrieben, das ihm endlich den gebührenden Rang zuweist: als elementarer Bezugspunkt. (Bert Rebhandl, 16.11.2022)