Endlich! Wenigstens die Wiener Sozialdemokraten unterstützen die von Experten längst geforderte Lockerung der Bestimmungen für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft. ÖVP und FPÖ sagen dazu seit jeher Nein, aber auch viele SPÖler, voran die ewigen Rechtsausleger aus dem Burgenland, sind skeptisch. Und die Bundes-SPÖ schweigt.

Diese Bestimmungen bewirken, dass hunderttausende dauerhaft in Österreich lebende Personen nicht wahlberechtigt sind. Das betrifft auch diejenigen, die in Wien geboren und aufgewachsen sind, gut Deutsch können, hier arbeiten und Steuern zahlen. Die Staatsbürgerschaft ist "ein hohes Gut", sagt die ÖVP-Integrationsministerin mantraartig, sie kostet eine Menge Geld, eine Menge Bürokratie und einen jahrelangen Leidensweg, der viele an ihrem neuen Heimatland unterwegs verzweifeln lässt.

Die Wiener SPÖ und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig haben sich dafür ausgesprochen, finanzielle und bürokratische Barrieren für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu lockern.
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Es ist die ewige österreichische Erbsünde des Provinzialismus, die hier nachwirkt. Wir sollten allmählich gelernt haben, dass Österreich seit Jahrhunderten von der Vielfalt seiner Bevölkerung gelebt hat. Waren es seinerzeit die Bewohner der Kronländer, die vor allem nach Wien gestrebt haben, so waren es in den letzten Jahren Menschen aus aller Welt, oft die Wagemutigsten und Innovativsten. Viele von ihnen sind inzwischen Kleinunternehmer, legen Wert auf Tradition und Familie – eigentlich eine natürliche Zielgruppe für eine Partei wie die ÖVP. Aber diese hat das Narrativ der FPÖ übernommen, dem zufolge es hierzulande nur zwei Kategorien von Menschen gibt: "echte Österreicher" und – potenziell gefährliche – "Fremde".

Herausforderungen

Wenn sich freilich auch Teile der Sozialdemokratie dieser Erzählung anschließen, dann ist das mehr als ein Fehler, es ist ein Verrat an deren historischer Aufgabe. Die Linke in Europa hat seit ihrer Entstehung ihre Existenzberechtigung darin gesehen, den Schwachen in der Gesellschaft, den "Verdammten dieser Erde", eine Stimme zu geben. (Auf Christlich heißt das übrigens "Option für die Armen". Gemeint ist dasselbe.) Früher sprach man in Europa von der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse von heute sind die Migranten. Davon kann sich jeder überzeugen, der sieht, wer auf den Baustellen, im Spital, bei den Zustellerdiensten tätig ist. Diese Menschen sind "unsere Leute", und dazu brauchen sie das Wahlrecht und einen österreichischen Pass.

Das heißt nicht, die Herausforderungen der Flüchtlingsbewegung zu unterschätzen oder die Probleme mit Fundamentalisten und Terroristen kleinzureden. Gesetze gelten für alle, das steht außer Frage. Aber wenn sich demokratische Politiker herbeilassen, bei jeder Teenagerrauferei den "politischen Islam" zu beschwören, dann besorgen sie das Geschäft der Kickls und ihresgleichen. Und bleiben in jedem Fall, wie die jüngsten Umfragen zeigen, hinter dem Original zurück.

Gut, dass die Wiener SPÖ und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig sich nun wenigstens dafür ausgesprochen haben, die finanziellen und manche bürokratischen Barrieren für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu lockern. Anstand muss an der Wahlurne nicht bestraft, er kann auch belohnt werden. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 17.11.2022)