Niederschwellig, hell und freundlich: Holger van Dordrecht vom Sissysound-Record-Shop im fünften Bezirk.

Foto: Christian Fischer

Aufhören war nie eine Option. Als Besitzerin eines Plattenladens ist Sylvia Benedikter eine Kämpfernatur, das gehört gewissermaßen zur Jobbeschreibung. Benedikter eröffnete 2004 das Recordbag, zweimal umfallen entfernt von der Mariahilfer Straße. Das war ungewöhnlich, weil Benedikter als Frau in dem Fach immer noch eine Ausnahme ist und ein Plattenladen damals als bedrohte Art galt. Vor einem Jahr ist sie umgezogen, in die Margaretenstraße 91 im fünften Bezirk. Wieder ein Neuanfang, doch hohe Miete, Corona und jahrelang eine Baustelle vor dem Laden machten ihn notwendig. Jedoch fand der Umzug unter günstigeren Bedingungen statt als die Gründung.

Denn die Platte als Tonträger boomt, und in den letzten Jahren hat eine Reihe neuer Shops eröffnet, im siebten Bezirk gibt es sogar eine kleine Kolonie – und das Publikum dafür. Benedikter: "Viele Kunden sind mit mir mitgewachsen. Die sind zuerst mit den Eltern gekommen, jetzt kommen sie allein."

Aufgeben gilt nicht: Sylvia Benedikter, Chefin des Recordbag im fünften Bezirk.

Trotzdem war die neue Umgebung eine Herausforderung, der auf Alternative Music ausgerichtete Shop bietet nun auch Jazz an. Das freut das Publikum und spornt Benedikter an, die an die Idee des analogen Shops glaubt. Ein Ort, in den Leute kommen, sich Zeit nehmen, schauen, quatschen und Musik hören.

Keine Testsituation

Ein paar Hundert Meter stadteinwärts in der Margaretenstraße 47 hat der Sissysound-Record-Store von Holger van Dordrecht kurz vor Corona aufgesperrt. Er ist 45 und hat sein Leben mehr oder weniger mit Musik verbracht, bei einem Großmarkt gearbeitet und sich irgendwann gedacht, er probiert es selbst. Den siebten Bezirk mied er, weil der mit Plattenläden wie Market, Substance, Black Monk, Schallter und anderen gut versorgt ist. Zwar hat er ein Standbein online, doch 90 Prozent seiner Kundschaft kommen durch die Tür.

Während Recordbag auch CDs anbietet, muss man die Silberlinge bei Sissysound suchen, es überwiegen die großen schwarzen Scheiben. Dordrecht: "Die Platte war ja nie weg, deshalb ist es für mich ein seltsames Revival. Aber manche entdecken erst jetzt, dass sie ein ruhiges Medium ist, im Gegensatz zum Onlinehören. Eine Platte hat beschränkte Informationen drauf, mit lauter Entscheidungen, von der Reihenfolge der Songs, warum das Cover so aussieht und so weiter."

Neues Vinylpresswerk

Sein Publikum sind Nerds, Teenager, Twens, Boys and Girls. Sissysound ist wie ein klassischer Plattenladen sortiert – aber ohne den Mief und die Attitüde, die diesen Shops früher Hemmschwelle war. Da bestätigte sich lange das Klischee der arroganten Auskenner hinter der Budl, die die Kundschaft abschätzig behandelten oder erst wahrnahmen, wenn sie mit dem Geld winkte. Diese Zeiten sind eher vorbei.

"Mich hat immer gestört, dass man oft das Gefühl hatte, sich in solchen Läden beweisen zu müssen. Ich will bei mir aber für niemanden eine Testsituation haben, sondern niederschwellig sein. Die Leute sollen sich wohlfühlen. Wenn jemand eine Frage hat, immer, dafür bin ich da."

Austrovinyl und Pro-Ject

Die Langspielplatte boomt seit Jahren. Nicht nur neue Shops sind dafür ein Zeichen, auch die Geschichte des Presswerks Austrovinyl in der Oststeiermark belegt das. Das 2017 von drei Musik- und Vinylliebhabern gegründete Presswerk brummt. Bald nach Gründung presste Austrovinyl in Fehring schon 120.000 Platten pro Jahr. Im Vorjahr waren es 300.000. Nun wurde das Austrovinyl-Werk 2 eröffnet.

Denn nach Corona zog die Nachfrage so stark an, dass eine Kapazitätserweiterung nötig war. Als Partner stieg das Eisenerzer Musiklabel Napalm Records ein. Der globale Player im Metal-Bereich kaufte 20 Prozent der Anteile am Unternehmen. Mit den neuen finanziellen Mitteln wurde das zweite Werk errichtet; knapp eine Million Platten will Austrovinyl im kommenden Jahr pressen. Selbst dabei zählen Niederschwelligkeit, Transparenz und Offenheit.

Ans Werk angegliedert sind ein Kaffeehaus, eine Bar und ein Club, es wird Konzerte und Führungen geben. Künftig muss es nicht mehr Mariazell sein, wenn Gläubige in die Steiermark zur Wallfahrt kommen. Zudem hat Österreich mit dem Hifi-Hersteller Pro-Ject einen weiteren Visionär des Analogen. Die Plattenspieler (sowie der Rest des Angebots) des 1991 von Heinz Lichtenegger gegründeten Unternehmens werden weltweit in 80 Länder verkauft und gelten als kostengünstige, dabei hochwertige Einstiegshilfe in die Welt der sich drehenden Scheiben.

Keine Massenbeschallung

All das hat Christian Lindinger beobachtet. Auch er hat einen Plattenladen in Wien aufgesperrt, auch er hat sein Leben mit dem Handel von Musik verbracht: zuerst als Lehrling, später beim Virgin-Megastore, beim Vertrieb Hoanzl oder im EMI-Shop auf der Wiener Kärntnerstraße, bevor er beschloss, sein eigener Herr zu werden. Lindi’s Schallplatten ist in der Burggasse 79 ansässig.

Es zählt zur Kolonie an Shops dort, wobei Lindinger sich bewusst für diesen Standort entschieden hat. Während viele Shops dort ihre Spezialisierung haben, bietet er ein klassisches Sortiment an. Vom Jazz bis zum Classic Rock, vom Hip-Hop bis zur Alternative Music und, und, und. "Es gibt viele Leute, die wollen nicht zum Großmarkt Musik kaufen gehen. Die wollen in Ruhe stöbern, ohne die dort übliche Massenbeschallung."

Ein analoger Typ: Christian Lindinger von Lindi's Schallplatten.

Sein Shop ist hell und freundlich und an Musikliebhabern und nicht nur an deren Geld interessiert. Lindinger verzichtet im Moment noch auf einen Webshop. Er sagt, er sei ein analoger Typ und möchte das bleiben, wobei, einmal schauen, was kommt.

Was sicher kommt, ist der nächste Record Store Day. Am Black Friday dieser Woche (25. November) ist es so weit. Da werden etliche privat geführte Plattenläden ihrem Publikum limitierte Vinylausgaben anbieten. Recordbag, Sissysound und Lindi’s sind live dabei. Das Recordbags sogar buchstäblich: Dort gibt die junge Songwriterin Esther Olivia um 17 Uhr ein In-Store-Konzert. (Karl Fluch, 23.11.2022)