Für Alexandre (Ben Attal) ist schneller, brutaler Sex im Müllraum nichts Ungewöhnliches, Mila (Suzanne Jouannet) sieht das anders.

Foto: Curiosa Films

Claire Farel (Charlotte Gainsbourg) und ihr Ex-Mann Jean (Pierre Arditi) verteidigen ihren Sohn mit ihrem Einfluss.

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Charlotte Gainsbourg ist die Tochter von Serge Gainsbourg und Jane Birkin. Verheiratet ist sie mit dem Filmemacher Yvan Attal, mit dem sie drei Kinder und bereits einige Komödien gedreht hat. Ihr neues Gemeinschaftsprojekt Les choses humaines (Menschliche Dinge) widmet sich ernsteren Themen, namentlich #MeToo ("en français" #BalanceTonPorc).

Im Land der Liebe, so der Eindruck, wurde sich in der Debatte etwas zu sehr um die Erotik gesorgt. Anders verlief #MeToo in den USA, und Menschliche Dinge wagt den transatlantischen Brückenschlag in zweierlei Hinsicht: Er wählt das Genre des Gerichtsdramas und bezieht sich indirekt auf einen wahren Fall. Denn der Film basiert auf einem Bestseller von Karine Tuil, die sich einen Vorfall an der Eliteuni Stanford zum Vorbild nahm, wo ein Student nur eine leichte Bewährungsstrafe für eine Vergewaltigung bekam. Ein Skandal, der Fragen nach der Haftbarkeit der Elite aufwarf.

Journalistenelite in Paris

Menschliche Dinge spielt im bourgeoisen Paris. Dort behauptet die feministische Essayistin Claire (Gainsbourg) im Radio, dass Sexualdelikte vornehmlich ein importiertes Problem seien, was ihr den Ruf einer Konservativen einbringt. Das entspricht ihrem Leben: Ihr Ex-Mann ist der um einiges ältere Starjournalist Jean Farel (Pierre Arditi), gemeinsam haben sie einen Sohn Anfang zwanzig, der in Stanford studiert. Verkörpert wird Alexandre von Gainsbourgs Sohn Ben Attal. Claire lebt mit ihrem neuen Partner Adam (Matthieu Kassovitz) zusammen, wo Alexandre dessen 17-jähriger Tochter Mila (Suzanne Jouannet) bei einem gemeinsamen Abendessen begegnet.

Mila begleitet Alexandre zu einem Klassentreffen, wo es schließlich in einem Müllraum zum Geschlechtsverkehr kommt. Für Alexandre ist das einvernehmlich, für Mila nicht, weshalb sie Anzeige erstattet.

Konträre Perspektiven

Die konträren Perspektiven gilt es nun zu sezieren: Zuerst seine, dann ihre, und schließlich treffen beide im Prozess drei Jahre später wieder aufeinander. Dazwischen sind Rückblenden von der Nacht geschnitten, deren 16-mm-Optik Objektivität behauptet.

Polyfilm Verleih

Das Elternhaus definiert den Charakter

Alexandre und Mila werden über das Milieu ihrer Eltern charakterisiert, was phasenweise etwas platt ist: Jean Farel ist greiser Casanova, der noch bildschöne Praktikantinnen für sich begeistern kann, Milas jüdisch-orthodoxe Mutter sorgt sich vorwiegend über die Heiratsfähigkeit ihrer Tochter. Wo die Familie der Klägerin auffallend stumm bleibt, schmettert die Promi-Familie Farel im Gericht Reden darüber, was zwanzig Minuten im Leben ihres Sohnes angerichtet hätten und dass man als Frau schließlich keinem Mann in einen Schuppen folgt.

Suzanne Jouannet spielt die Klägerin so, wie das von einer glaubwürdigen Zeugin erwartet wird: psychisch labil, schambehaftet, aber auch wütend. Ben Attals Angeklagter sieht mit staunenden Augen zu und scheint sich unentwegt zu fragen, was denn hier gerade mit seinem Ruf passiert. Am Pranger steht am Ende dann die Bourgeoisie. (Valerie Dirk, 25.11.2022)