Michael Wurmitzer ist Handke-Fan.

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Selig die, die ohne schweres Gepäck auskommen, um die Hände frei zu haben zum Begreifen der Welt. Selig also Peter Handke. Notizbücher, so klein, dass sie in seine Jacken- oder Hosentasche passen, sind seit den 1970ern mit dabei, wenn er sich aufmacht. Von April bis August 1978 führte ihn so eine Reise zu Fuß, per Bus und Bahn von Kärnten nach Slowenien und Italien. Selbstgespräche, Eindrücke vom Unterwegssein und Vorarbeiten finden darin Niederschlag. Das Heft, das ihn damals begleitete, liegt nun, zum 80. Geburtstag des Autors am 6. Dezember, als Die Zeit und die Räume vollständig transkribiert vor.

Peter Handke, "Die Zeit und die Räume".€ 35,00 / 311 Seiten. Suhrkamp, 2022.
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Geduld und Abenteuerlust

Man freut sich beim Aufschlagen unmittelbar, dass im Anhang gut 50 Seiten faksimiliert wurden. Da wechseln sich wasserfleckige, vielfarbig beschriebene Seiten voller Pfeile, Durch- und Unterstrichenem mit sauberst eng beschrifteten Blättern, gespickt mit Zeichnungen von Zuckerstreuern und Bäumen, Vögeln und Landschaften, ab. Sie vermitteln ein lebhaftes Bild vom damals 36 Jahre alten und dank Publikumsbeschimpfung, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, Wunschloses Unglück und weiteren zwei Dutzend Büchern und Stücken längst berühmten späteren Nobelpreisträger.

Poetisches drängt sich auf den Seiten. Oft umfassen die Einträge nur ein paar Worte, allerhöchstens aber wenige Zeilen. In ihnen beweist der Autor "Geduld in den Vorortbussen" und Abenteuerlust.

Aus Nachdenken wird Sehnsucht

Notate wie "Alle haben ungeputzte Schuhe" weisen Handke einmal mehr als genauen Beobachter des Abseitigen aus, "blühende Obstbäume mit Maikäfergestank" ist einer jener typisch Handke’schen Beschreibungen, die sich erst zur Feierlichkeit aufschwingen, um dann wieder den Boden der Tatsachen anzusteuern. Wo die grünende Gegend in der Mittagsstille ruht, muss quasi auf einem Villendach sogleich ein Arbeiter rülpsen.

Man liest sich nicht satt, ob es um die Liebe geht ("Er will von ihr wegrücken, nicht zur Abwehr, sondern um sie wie einst zu sehen") oder das Sinnen: "Allmählich wurde aus dem Nachdenken Sehnsucht." Möge ihm der "Gusto an Arbeit" lange bleiben – und der "Haß auf Geschenke" nicht allzu gereizt werden. (Michael Wurmitzer, 06.12.2022)