Dächer in Österreich müssen zwischen 40 und 1.200 Kilogramm Schnee pro Quadratmeter Dachfläche tragen.

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Teures Gas, die Angst vor einer Abhängigkeit von Russland und der Wunsch nach einer klimafreundlicheren Energieform lassen viele private Häuslbauer und auch Unternehmen aktuell umdenken. Die Folge: Photovoltaikanlagen (PV) sind so begehrt wie nie.

Laut einer Umfrage des Market-Instituts im Auftrag des Ziegelherstellers Wienerberger haben zuletzt 21 Prozent der Häuslbauer noch einmal umgeplant, um nachträglich Photovoltaik auf dem Haus zu installieren. 46 Prozent hatten von Anfang an eine solche Anlage eingeplant.

Und auch wenn die Nachfrage durch die Energiekrise im letzten Jahr noch einmal ordentlich zugenommen hat, ist laut Umfrage schon seit dem Jahr 2018 der Trend zu Steildächern erkennbar. Mit ein Grund dafür ist, dass diese Dachform die Installation einer PV-Anlage begünstigt.

Neue Norm

Doch nicht alle Häuslbauerinnen oder Hausbesitzer haben die Option. Wer ein Bestandsgebäude hat oder kauft, kann die Gegebenheiten auf dem Dach oft nicht beeinflussen. Bei 27 Prozent der Befragten besteht laut Umfrage nicht die Möglichkeit, eine PV-Anlage zu integrieren. Grund dafür könnte etwa die sogenannte Schneelastnorm sein.

Sie gibt vor, auf welche äußeren Einwirkungen ein Bauwerk vorbereitet sein und welchen Schneebelastungen es standhalten muss. Eine PV-Anlage fällt, je nach Modell, mit bis zu 20 Kilogramm pro Quadratmeter zusätzlich ins Gewicht. Manche, vor allem ältere Dächer waren dieser Belastung in der Vergangenheit nicht gewachsen. Das könnte sich allerdings im letzten Jahr geändert haben. Denn seit dem Frühling gilt in Österreich eine neue Schneelastnorm, die in fast allen Regionen des Landes dazu geführt hat, dass Dächer weniger belastbar sein müssen.

Schneelast in Österreich: Eine zulässige Schneelast von 1 kN/m2 heißt, dass 100 Kilogramm Schnee auf einem Quadratmeter Grundrissfläche des Daches zulässig sind.
Grafik: GeoSphere Austria, vormals ZAMG

Der Klimawandel und die Tatsache, dass vielerorts weniger Schnee fällt, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, weiß Ulrich Hübner. Er ist Experte für Normen beim Fachverband der Holzindustrie und erklärt, wie die Schneelastnorm zustande kommt: "Je nach Region und Höhenlage gibt es mehr oder weniger Schnee, und er bleibt kürzer oder länger liegen. Das wird an vielen Orten in Österreich regelmäßig gemessen, und darauf beruht im Wesentlichen die Schneelastkarte", sagt Hübner. Österreich könne hier auf seine hervorragende Messgeschichte stolz sein. Die aktuelle Norm basiert auf Messdaten der letzten 30 Jahre. Diese öffentliche Karte, in die jede und jeder eine Adresse eintippen und sich die Schneelast für die eigene Region anzeigen lassen kann, ist auf hora.gv.at abrufbar.

Auf Nummer sicher

"Je höher die Schneelast, desto massiver müssen die Tragwerke sein", sagt der Statiker Kilian Reiter. In den Bergen müssen Gebäude mehr aushalten, in Wien und im Osten des Landes naturgemäß weniger. Insgesamt liegt die Schwankungsbreite österreichweit zwischen 40 und 1.200 Kilo pro Quadratmeter Dachfläche.

Dass die Werte der neuen Norm niedriger ausfallen als bei ihrer Vorgängerin, liege vor allem an besseren Berechnungsmöglichkeiten, erklärt Hübner. "Man muss sich hier immer auf die sichere Seite schlagen, weil man nie genau weiß, wie viel Schnee fallen wird. Aber je besser die Berechnungsmodelle sind, desto exakter kann man auf Nummer sicher gehen."

Und auch mit extremen Ausnahmeschneefällen rechnen Statiker. Von den täglichen Messungen der Schneehöhen wird die maximale Schneelast pro Jahr ermittelt. Die Extremwerte von mehrere Jahrzehnten werden dann ausgewertet. Also jene Tage, an denen das Gewicht des Schnees bzw. des Wassers am höchsten war. "Dann kommt noch ein Sicherheitsaufschlag oben drauf, es wird mit dem Faktor 1,5 multipliziert. Im Bauwesen ist man in Österreich konservativ", sagt Hübner. Das bestätigt auch der Statiker Kilian Reiter und erklärt: "Wir setzen normativ die Schneelast höher an und schätzen das Material schwächer ein, als es eigentlich ist. Natürlich gibt es ein gewisses Restrisiko, aber dann kann man auch Maßnahmen ergreifen, etwa das Dach abräumen."

Schneelast selbst messen

Wer wissen möchte, wie viel Schnee aktuell auf dem eigenen Dach liegt, kann laut Hübner so vorgehen: "Man steckt ein Rohr von oben in den Schnee, am besten auf einer Wiese neben dem Haus, wo die Schneedecke ungestört ist. Beim Rausziehen hält man das Rohr unten zu, und dann wiegt man den Schnee zum Beispiel mit einer Personenwaage. Unter Berücksichtigung des Innendurchmessers des Rohrs lässt sich berechnen, welche Schneelast pro Quadratmeter auf dem Boden liegt." Im besten Fall, sagt Hübner, wissen Hausbesitzer darüber Bescheid, welche Schneelast in der Statik ihres Hauses zugrunde gelegt wurde, und haben ein Bewusstsein für das Thema. "Wenn man schon bei 80 Prozent der Schneelast ist, aber schon die nächste Wetterfront kommt, sollte man einen Zivilingenieur zurate ziehen und etwa über teilweises Schneeräumen auf dem Dach nachdenken."

Auch die Dachform spielt eine Rolle, von steilen Dächern etwa rutscht der Schnee eher ab. Und Schnee ist nicht gleich Schnee: Pro Quadratmeter wiegen zehn Zentimeter Pulverschnee rund zehn Kilo. Ist der Schnee aber nass, reicht dafür schon eine Schneehöhe von 2,5 Zentimetern.

Veränderte Schneelast durch die neue Norm: In den meisten Landesteilen müssen Dächer seit diesem Jahr weniger belastbar sein, nur in Teilen der nördlichen Steiermark wurde die Schneelast erhöht.
Grafik: GeoSphere Austria, vormals ZAMG

Falls trotz allem Gebäude einstürzten, was auch in Österreich hin und wieder vorkommt, seien meist nicht falsch berechnete Schneelasten der Grund, sondern Konstruktionsfehler beim Bau des Gebäudes oder eine falsche Nutzung, wissen die Experten. So auch im Jahr 2006, als im bayerischen Bad Reichenhall 15 Menschen beim Einsturz einer Eis- und Schwimmhalle ums Leben kamen. Die Schneelast auf dem Dach war nur der Auslöser, Ursache waren Schlampereien bei Bau und Wartung.

Weniger Material

Und was bedeutet die neue Schneelastnorm nun konkret für Bauherrinnen? Eine Folge der reduzierten, vorgeschriebenen Schneelast könnten Material- und damit Kosteneinsparungen sein. "Bei Einfamilienhäusern dürften die aber nicht ins Gewicht fallen", sagt Reiter. Anders sei dies bei größeren Industriehallen.

Wer nun eine PV-Anlage auf seinem Hausdach haben möchte, sollte das beim Neubau dem Statiker mitteilen, der das Tragwerk dann von vorneherein – und unter Einbezug der neuen Norm – stabiler planen wird.

Im Bestand müssen Bauherren zuerst die Schneelast recherchieren, die beim Bau gültig war. Ein Verstärken des Daches zahlt sich laut den Experten meist nicht aus. Aber, sagt Reiter: "Möglicherweise gibt es nun tatsächlich Dächer, die im Vorjahr eine zusätzliche PV-Anlage nicht getragen hätten und dies durch die überarbeitete Schneelastnorm nun tun." (Bernadette Redl, 31.12.2022)