Die Großwetterlage ist für Medien nicht so einfach.

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Wien – Inflation und hohe Energiepreise auf der einen Seite, erodierendes Vertrauen in Nachrichten auf der anderen Seite: Das Jahr 2023 wird für viele Medienhäuser schwierig – und zwar weltweit.

Medienwissenschafter Nic Newman, langjähriger Stratege der britischen BBC und Forscher am Reuters Institute in Oxford, sieht die Medienbranche im kommenden Jahr mit multiplen Herausforderungen konfrontiert. Die ökonomischen Rahmenbedingungen könnten in einer Abwärtsspirale münden, die vor allem auch jene Medien betreffen werde, die ihren Fokus noch zu sehr auf Print setzen. Die hohen Papierpreise lassen grüßen.

Und dennoch gebe es auch genügend Chancen: etwa den Einsatz von künstlicher Intelligenz, das Ausrollen von Inhalten auf neuen Plattformen oder die Maßnahme, den Fokus in Richtung eines konstruktiven Journalismus zu verlagern.

Immer mehr Nachrichtenverweigerer

Nic Newman skizzierte seine Prognosen am Dienstag in Wien gemeinsam mit Medienberaterin Lucy Küng und Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien bei einer Veranstaltung des Presseclubs Concordia.

Ein wichtiger Punkt sei, so Newman, dass Medien gegen den Trend der Nachrichtenverweigerinnen und Nachrichtenverweigerer ankämpfen müssen. Immer mehr Menschen würden sich vom Nachrichtenkonsum abwenden, weil die schlechten und deprimierenden News dominieren, so Newman, der als Beispiele die zu intensive Beschäftigung mit Politik und mit Covid-19 nennt. Das führe bei vielen– schon rein aus Selbstschutz – zu einer Verweigerungshaltung. Gegensteuern ließe sich mit konstruktivem und lösungsorientiertem Journalismus. Also weg vom Motto "Only bad news are good news" in Richtung Hoffnung geben und Lösungen aufzeigen.

Misstrauen gegenüber Nachrichtenmedien

In Zahlen gegossen bedeutet das: Weltweit vertrauen 42 Prozent der Befragten meist den Nachrichten. In Österreich sind es 41 Prozent, wie der im Sommer 2022 publizierte "Digital News Report" (DNR) dokumentierte. Misstrauen gegenüber Nachrichtenmedien äußerten 29,2 Prozent – im Vorjahr waren es noch 25,3 Prozent der Befragten in Österreich. In puncto Vertrauen erreicht Finnland mit 69 Prozent den Spitzenwert. Nur 26 Prozent der Befragten vertrauen Medien in den USA. Die Polarisierung ist enorm stark.

Deutlich mehr als ein Drittel der befragten Österreicherinnen und Österreicher – 38 Prozent – gaben in der Umfrage an, dass sie häufig oder zumindest manchmal Nachrichten gezielt aus dem Weg gehen. 2017 sagten das nur 29 Prozent. Wenn man sich die Chat-Enthüllungen der letzten Monate vor Augen führt und die dokumentierte Nähe zwischen Medien und der Politik, dürfte das Vertrauen nicht unbedingt größer werden.

Verschiebungen bei Plattformen

Newman und Küng erwarten sich 2023 Bewegung bei den großen, internationalen Plattformen. Während Facebook und Twitter vor allem in der jüngeren Zielgruppe weiter an Bedeutung verlieren werden, dürfte der Siegeszug von Tiktok weitergehen. Obwohl es bei vielen Medienhäusern Vorbehalte gegen Tiktok gebe, da das Videoportal seinen Sitz in China hat und von der Politik kontrolliert wird, existiere zugleich auch die Möglichkeit für Medien, ihre Inhalte an eine breite, junge Zielgruppe zu bringen. Tiktok biete einen Zugang, um Geschichten anders, kreativer zu erzählen und um jüngeres Publikum an die eigene Medienmarke heranzuführen. Mehr Medienpräsenz würde den Inhalten auf Tiktok jedenfalls guttun. Die Plattform gilt als Fake-News-Schleuder.

Newman will weniger von digitaler Transformation bei Medienhäusern sprechen, die bei vielen bereits im Gange sei, sondern von Content-Transformation. Ein kreativer Ansatz, Geschichten zu erzählen, hätte sehr viel Potenzial, so Newman. Auch was die Zahlungsbereitschaft der Leserinnen und Leser betrifft. Wichtig sei auch die Verständlichkeit: "Viele wenden sich ab, weil sie die Nachrichten zu kompliziert finden."

Kein Raum für Innovationen in Österreich

Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien bedauert, dass in Österreich so wenige neue, innovative Medienprojekte entstehen können. Das habe mit den schlechten Rahmenbedingungen zu tun. Medienförderungen wie die Digitaltransformationsförderung oder die geplante Journalismusförderung würden nur jene begünstigen, die ohnehin bereits etablierte Player seien. Es gebe keine Chance für Innovationen. Junge, engagierte Leute könnten ihre Pläne nicht realisieren, das führe zu Frustration und Abkehr vom Journalismus. "Das ist eines der Schlüsselprobleme", resümiert Kaltenbrunner.

Potenzial in KI und Interaktion

Potenzial für Medien sieht Newman im Jahr 2023 im Einsatz von künstlicher Intelligenz für die Berichterstattung oder für die Interaktion mit dem Publikum. Daraus könnten mehr personalisierte Nachrichten resultieren, die sich problemlos in verschiedene Sprachen übersetzen ließen. Textnachrichten könnten automatisch visualisiert, Daten leicht verarbeitet werden. Newman verweist etwa auf Chat GPT. Open AI hat – wie berichtet – einen neuen Chatbot vorgestellt, der verblüffend gut funktioniert und derzeit für einen Hype in sozialen Medien sorgt.

Das Reuters Institute veröffentlicht immer im Jänner seine Befragung, die es unter führenden Medienmacherinnen und Medienmachern durchführt. Der alljährliche "Digital News Report" erscheint im Juni. (omark, 7.12.2022)