Die Erklärungen von Innenminister Gerhard Karner und seinen ÖVP-Freunden lassen keinerlei Ziel erkennen.

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Nationale Vetos haben in der Europäischen Union Tradition. Solange es Politikbereiche in der EU gibt, in denen Einstimmigkeit gefordert ist, werden einzelne Staaten gelegentlich versuchen, mit dieser Taktik ihre Interessen durchzusetzen.

Österreichs Alleingang gegen den Beitritt Rumäniens zum Schengen-Raum – die Niederlande wollten mit ihrem Nein nur Bulgarien verhindern – ist dennoch einzigartig. Denn wenn schon eine Regierung den Rest der Union quasi erpresst und sich deren Zorn zuzieht, dann sollte sie zumindest wissen, welches Ziel sie damit verfolgt – und den anderen Staaten signalisieren, wie sich diese ihre Zustimmung erkaufen können.

Kaum Flüchtlinge über Rumänien

Die Erklärungen von Innenminister Gerhard Karner und seinen ÖVP-Freunden lassen allerdings keinerlei Ziel erkennen. Ja, Österreich ist mit der Asylpolitik der EU unzufrieden und hat dafür gute Gründe. Aber keiner kann erklären, was die jüngste Flut an Asylanträgen mit Schengen oder gar mit Rumänien zu tun hat; über das Land kommen kaum Flüchtlinge nach Österreich. Wenn Karner dann nebulos erklärt, es sei der falsche Zeitpunkt für die Schengen-Erweiterung, warum hat er dann Kroatiens Beitritt zugestimmt?

Die Regierung erklärt das europäische Asylsystem für gescheitert und mag damit auch recht haben, stellt aber keine konkreten Forderungen an die EU-Kommission. Dass ein stärkerer Außengrenzschutz eine zentrale Säule des Schengen-Systems ist, wird in Wien geflissentlich ignoriert. Der eine Reformschritt, der Österreich rasch entlasten würde, nämlich die Verteilung von Asylsuchenden in der Union, wird vehement abgelehnt.

Ungarn winkt Flüchtlinge durch

Schlimmer noch: Das Land, das die Flüchtlinge durchwinkt und damit jenen "Asyltourismus" fördert, den die ÖVP laut beklagt, ist Ungarn. Doch anders als die proeuropäische Regierung in Bukarest wird Ungarns autoritärer Premier Viktor Orbán von Kanzler Karl Nehammer nicht bestraft, sondern hofiert, ohne dass es irgendwelche Früchte trägt.

Dass die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner der ÖVP hier zur Seite springt und damit den Bruch mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig und anderen Parteifreunden riskiert, macht die Sache nicht besser.

Warum den Rest Europas gegen sich aufbringen, den vielen großen und kleinen Unternehmen, die in Rumänien ihr Geld verdienen, das Leben schwermachen und in der EU wichtiges politisches Kapital verspielen – für nichts? Selbst der Hinweis auf die kommenden Landtagswahlen in Niederösterreich greift nicht: Keine Wählerin in Krems oder Zwettl wird die ÖVP dafür belohnen, dass man rumänischen Pflegerinnen die Anreise erschwert und Lkws zu längeren Wartezeiten an der Grenze verdammt.

Skrupelloses und methodisches Vorgehen

Das Schengen-Veto ist insofern symptomatisch für eine Partei, die unter Sebastian Kurz skrupellos, aber meist methodisch vorging, doch heute neben Moral auch gerne auf Verstand verzichtet. Und Karner, der schneidige Zinnsoldat aus Texingtal, ist die perfekte Symbolfigur für ihre armselige Politik, die zu Recht nur noch von einem Fünftel der Wählerschaft gewürdigt wird.

Ja, ÖVP und SPÖ müssen sich dringend überlegen, wie sie den aktuellen Höhenflug der FPÖ stoppen können – im eigenen Interesse und im Interesse des Landes. Aber mit einer kruden Blaupause des blauen Anti-Europa-Kurses wird das nicht gelingen. (Eric Frey, 11.12.2022)