Der Belgier Philippe Herreweghe dirigiert Beethovens "Missa solemnis" im Wiener Musikverein.

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Im Zusammenhang mit der niederländischen Vokalpolyphonie der Renaissance gab es folgende These: Es liege ein tieferer Sinn darin, dass der Text nicht verständlich sei. Gottes Botschaft zeige sich im Dunklen, dringe erst durch das Unverständliche durch.

Was das mit Beethovens Missa solemnis zu tun hat? Auch dieses Werk war mit dem Unverständnis des Publikums konfrontiert. Nach der jüngsten Aufführung durch das Orchestre des Champs-Élysées sowie das Collegium Vocale Gent unter der Leitung von Philippe Herreweghe wurden Stimmen laut, die Wiedergabe sei zu laut und zu unklar gewesen.

Beklemmende Frage und Jubel als Frage

In wenigen Zeilen lässt sich das Verhältnis der Interpretation zur Komposition kaum umreißen. Der äußerst homogene Klang sowohl von Chor als auch Orchester (auch die nahtlose Integration der vier großartigen Gesangssolisten) führte in den dichten Passagen zwangsläufig zu weniger Transparenz als bei einer Bach-Passion. Das Stück klang dadurch dunkler als gewohnt, wie eine beklemmende Klage, wie ein – aktueller – Ruf nach Frieden.

Grandios die rhetorisch "sprechenden" Instrumente, die die Stimmen nachahmten – etwa die Pauke, die vor dem Schlussjubel derart zweifelnd klang, dass noch dieser wie eine offene Frage klang. (Daniel Ender, 12.12.2022)