Von der Luft zum Wasser: In "Avatar 2" wechselt James Cameron das Element.

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Wenn ein 250 Millionen Dollar schwerer Blockbuster präsentiert wird, sieht das so aus: Ein ganzes Stockwerk in einem Londoner Luxushotel vibriert vor Geschäftigkeit, hinter beinahe jeder Tür finden Interviews mit Journalistinnen und Journalisten statt, die aus der ganzen Welt eingeflogen wurden. Regisseur James Cameron sieht dem Start seines lang erwarteten Sequels von Avatar, von dem sich die Branche einen wichtigen Boost-Effekt für das Kino verspricht, dennoch überraschend gelassen entgegen: "Wir bekommen viel gutes Feedback", sagt er und lächelt verschmitzt.

Avatar

STANDARD: 13 Jahre sind seit "Avatar" vergangen. Welche Frage bezüglich des Nachfolgefilms hat Ihnen den Schlaf geraubt?

Cameron: Die größte Frage war, was man vom ersten Film wieder aufgreifen sollte, damit das Publikum eine Grundlage hat. Der Film beginnt jetzt fast wie ein Unterricht, bei dem uns Jake, eine der zentralen Figuren, durch die fehlende Vergangenheit führt. Ich habe aber die Entscheidung getroffen, mich nicht mehr groß darum zu kümmern, was im ersten Film passierte. Schließlich war es der umsatzstärkste Film der Filmgeschichte: Die Leute werden die Storyline schon nicht vergessen haben!

STANDARD: Hat es auch deshalb so lange gedauert, weil durch den Erfolgsdruck alles noch ein wenig größer, attraktiver werden musste?

Cameron: Nicht größer, aber es geht immer um die Erweiterung von Ideen, um mehr Details in der Bildsprache. Niemand will sich auf seinen Lorbeeren ausruhen. Wir hatten diesen Riesenoptimismus aufgrund des ersten Films und seiner Resonanz. Dann gab es aber auch dunkle Momente, vor allem im Zusammenhang mit der Pandemie.

STANDARD: Hatten Sie als "der Regisseur" für Großprojekte denn je Zweifel an der Zukunft des Kinos?

Cameron: Oh, es war eine große Glaubenskrise. Aber was hätte ich tun sollen, einfach abspringen? Auf dem Höhepunkt meiner Panik, als wir alle im Lockdown waren und die Kinoketten zusammenbrachen, dachte ich, meine Karriere als Filmemacher für die große Leinwand könnte vorbei sein. Gemeinsam mit Guillermo del Toro und Steven Spielberg habe ich mich gefragt: "War’s das jetzt?" Es war die einzige existenzielle Bedrohung für den Film, die ich jemals ernst genommen habe. Auch wenn das Kino schon oft für tot erklärt wurde.

James Cameron (68) ist ein kanadischer Hollywood-Regisseur und dreifacher Oscar-Preisträger.
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STANDARD: Was war diesmal anders?

Cameron: Der Ort, an dem wir zusammenkommen, war selbst betroffen. Wenn sich Menschen nicht mehr physisch gemeinsam auf das Erlebnis einlassen, dann könnte es vorbei sein. Jetzt haben wir uns ein gutes Stück zurückgearbeitet: Wir sind wieder in der Lage, Leute ins Kino zu bringen – abhängig davon, in welchem Monat man die Statistiken macht. Wir sind bei 75 Prozent von dem, was wir früher hatten. Die fehlenden 25 Prozent könnten aber leicht die gesamte Gewinnspanne eines Films sein – ganz zu schweigen von einem Avatar-Film. Können wir noch profitabel sein? Das kann ich Ihnen im Moment nicht sagen.

STANDARD: Technisch profitiert der Film stark von Ihren vielen Expeditionen – Sie gelten ein wenig als der Wissenschafter unter den Regisseuren. Haben Sie viel davon eingebracht?

Cameron: Ich bin ein Wissenschaftsgroupie! Mich hat schon immer die Neugierde angetrieben, in die Welt einzutauchen, in U-Boote zu steigen. Meine Erfahrungen mit Wasser, auf Schiffen, bei Stürmen – all das bringe ich ein, wenn ich mit den Künstlern der computergenerierten Bildherstellung (CGI, Anm.) Wasser simuliere. 95 Prozent des Wassers, das man im Film sieht, ist CGI. Die Schauspieler wurden jedoch im Wasser aufgezeichnet, weil wir nach der richtigen Interaktion der Körper suchten. Wir hatten zehn Visual-Effects-Supervisors, und jeder von ihnen hatte ein Team von etwa 40 Leuten. Und bisweilen war es so, dass nur ein Spritzer nicht stimmte – dann sagte ich: Das müssen wir nachbessern.

STANDARD: Aber mit der Technologie allein verkauft man keinen Film mehr, oder?

Cameron: Danke! Ich wünschte, jeder würde verstehen, dass Technik eigentlich das Letzte ist, worüber ich sprechen möchte. Ich bin Autor, ich möchte über die Charaktere sprechen, über die Wirkung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand zu Hause sitzt und sagt: "Darling, lass uns ins Kino gehen, die haben eine neue Technologie!"

STANDARD: Dann sprechen wir über Kate Winslet, mit der Sie das erste Mal seit "Titanic" (1997) wieder gedreht haben. Wie war das?

Cameron: Sie ist noch viel selbstbewusster. Sie ist ein Alphaweibchen – für den Fall, dass Sie sie noch nicht getroffen haben. Sie fing am Set sofort an, alles selbst umzusetzen: Sie sagte den Schauspielern, was sie tun sollten. Sie nahm die Kinder unter ihre Fittiche: "Mama ist hier, alles wird gut!" Es wurde viel darüber geredet, dass sie so lange die Luft anhalten konnte, was selbst für mich erstaunlich war. Ich bin seit 15 Jahren Freitaucher und kann das nicht. Sie musste die Sprache lernen, den Dialekt – Kate ist die Dialektkönigin. Na ja, außer Meryl. Titanic war für uns beide eine unkontrollierte Kernschmelze. Dieser Dreh war viel kontrollierter.

STANDARD: Apropos Dialekte – die Frage kultureller Aneignung hat inzwischen auch eine andere Dimension. Haben Sie sich Rückendeckung geholt?

Cameron: Ich habe den Film diversen polynesischen Vertretern gezeigt und bisher kaum negatives Feedback bekommen. Manche werden es gewiss anders sehen. Die meisten indigenen Kulturen glauben an die Wächterrolle gegenüber der Natur. Es hat für sie eine tiefe spirituelle Bedeutung. Die Na’vi sollen den besseren Teil von uns selbst repräsentieren – etwas in uns, das wir vergessen haben. Die Menschen im Film repräsentieren hingegen unsere heutige verbrauchsintensive Zivilisation. Ein Zustand der Gnade trifft auf einen gefallenen Zustand.

STANDARD: Und Sie erzählen von Generationenkonflikten und Selbstachtung. Hatten Sie dabei auch eine neue Generation im Blick?

Cameron: Der Film trifft tatsächlich auf einen Zeitgeist, der ganz anders ist als jener, in dem er konzipiert wurde. Die Statistiken sind klar: Unter jungen Menschen gibt es mehr Angstzustände, Depressionen und Suizid. Ich hoffe, dass die Jugend in diesem Film sich selbst erkennt: Dass man auf einem anderen Planeten in 220 Jahren denselben Mist durchleben muss. Es ist eine universelle Geschichte. Doch man kann sich behaupten. (Dominik Kamalzadeh, 14.12.2022)