Was immer bei den polizeilichen und justiziellen Ermittlungen im jüngsten Korruptionsfall in Brüssel und Straßburg sonst noch aufgedeckt werden wird, eines steht bereits fest: Der politische und moralische Schaden, den das Europäische Parlament nach der Verhaftung von Vizepräsidentin Eva Kaili erlitten hat, ist angerichtet. Er ist enorm, gemessen an den hohen Ansprüchen.

Für die Verdächtigen – Abgeordnete und Mitarbeiter – gilt die Unschuldsvermutung, klar. Alle bestreiten alle Vorwürfe. Ob schwere Verbrechen wie Korruption, Geldwäsche und Bestechung vorliegen, müssen am Ende Gerichte entscheiden. Politisch relevant und für die Bürgerinnen und Bürger wohl schockierend sind aber allein schon die unglaublichen Umstände, die bisher bekannt wurden.

Eva Kaili sitzt wegen Korruptionsverdachts in Untersuchungshaft.
Foto: AP/European Union 2022

Keine Geringere als die Präsidentin des Parlaments, Roberta Metsola, bestätigte, dass sie und "unsere Dienste" bereits "seit einiger Zeit" (will heißen: seit Wochen) in die Ermittlungen direkt involviert waren. Sie nahm sogar an einer Hausdurchsuchung teil. Es lief eine extreme Geheimaktion ab.

Man befürchtete nicht nur Verfehlungen einzelner Personen mit krimineller Energie. Offenbar wurde tatsächlich der Zugriff eines autoritären Staats auf Teile der gesetzgebenden Versammlung durch ein "kriminelles Netzwerk" im Inneren befürchtet, wie Metsola wörtlich sagte. Eine Horrorvorstellung für alle Demokraten in unserem gemeinsamen Europa. (Thomas Mayer, 13.12.2022)