Benjamin Netanjahu ist derzeit mit schwierigen Regierungsverhandlungen beschäftigt.

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Man kann nicht behaupten, dass es den aktuellen Regierungsverhandlungen in Israel an Unterhaltungswert fehlte. Jeden Tag öffnet sich ein weiteres Fensterchen und eröffnet den Blick auf neue, teils skurrile Gesetzesvorschläge. Die religiösen und rechtsextremen Parteien legen laufend neue Forderungen auf den Tisch und setzen damit den designierten Premier Benjamin Netanjahu unter Druck.

Stromkraftwerke abschalten, wenn am Freitag die Sonne untergeht – das fordert etwa die Vereinte Torah-Partei seit Neuestem. Erst Samstagabend soll wieder Strom produziert werden, wenn es nach der ultraorthodoxen Fraktion geht. In den dazwischenliegenden 24 Stunden soll Strom nur aus Speichern bezogen werden. So will es die Schabbatruhe, sind die frommen Abgeordneten überzeugt.

Zwar ist es nicht so, dass strengfromme Juden am Schabbat keinen Strom verbrauchen. Es dürfen aber keine Schalter betätigt werden. So ist es möglich, dass an heißen Sommertagen den ganzen Tag die Klimaanlage läuft, in Hochhäusern die ganze Zeit der Aufzug fährt oder im Winter pausenlos der Radiator strahlt – sodass es am Tag der Ruhe sogar zu Stromverbrauchsspitzen kommen kann. Die Torah-Partei ist dennoch überzeugt, dass eine Produktion am Schabbat nicht unbedingt notwendig ist.

Extra viele Forderungen

Netanjahu versuchte am Dienstag zu beruhigen: "Am Status quo wird sich nichts ändern", sagte er in einer Rede im Parlament. Aus Kreisen seiner Likud-Partei ist aber zu hören, dass er unter Druck steht, den ultraorthodoxen und rechtsextremen Parteien wenigstens manche ihrer Wünsche zu erfüllen. "Sie legen extra lange Listen an Forderungen vor, damit danach wenigstens die Hälfte davon durchgeht", erzählt ein Likud-Funktionär.

Einige dieser Forderungen betreffen das Bildungssystem. Eine saftige Finanzspritze für religiöse Schulen hatte Netanjahu bereits im Wahlkampf versprochen. Zum Ärger der säkularen Israelis wird dieser Geldregen auch jenen frommen Schulen zuteil, die sich weigern, Mathematik, Wissenschaft oder Englisch zu unterrichten, weil sie diese Fächer einer religiösen Bildung nicht für zuträglich halten.

Absolventen dieser Schulen seien für den Arbeitsmarkt nicht vermittelbar, kritisieren Ökonomen. Die Strengfrommen argumentieren, dass sie ohnehin nicht primär am Arbeitsmarkt interessiert seien, sondern an einem Leben im Zeichen des Bibelstudiums. Ein jüdischer Staat solle sich diese wichtige Aufgabe etwas kosten lassen, finden sie.

Intensiveres Talmud-Studium gewünscht

Jetzt wollen die Strengfrommen aber auch in den öffentlichen Schulen mitreden. Dort gehört zwar schon jetzt das Bibelstudium zum allgemeinen Lehrplan. Die Ultraorthodoxen wollen aber durchsetzen, dass auch Kinder aus säkularen Familien in der Schule nicht an einem intensiven Talmud-Studium vorbeikommen. Gai Smolnik, ein Lehrer an einer Mittelschule nahe Tel Aviv, findet das "absurd": "Gerade jetzt nach der Pandemie brauchen wir vor allem mehr Psychologen und Sozialarbeiter, und immer hören wir, dafür fehlt das Geld. Und für Talmud-Stunden soll es plötzlich Geld geben?"

Netanjahu, der Israel mehr als zwölf Jahre in unterschiedlichen Koalitionen regiert hat, steht in dieser künftigen Koalition aus Gestrigen und Ewiggestrigen plötzlich als vergleichsweise Liberaler da. Er ist selbst kein frommer Jude, trägt keine Kippa, nascht auch mal gerne von unkoscheren Delikatessen. Und er weiß, dass viele seiner Wähler am Schabbat lieber ein Familienpicknick am Strand absolvieren als einen Besuch in der Synagoge. Diese Wähler hören es nicht gerne, dass die ultraorthodoxen Parteien in den Koalitionsgesprächen jetzt auch noch über Geschlechtertrennung an den Stränden fantasieren, wie Montagabend bekannt wurde.

Netanjahu versuchte auch in diesem Punkt die Wogen zu glätten. "Es gibt Strom am Schabbat, und es wird ihn auch weiter geben, es gibt Platz für alle an den Stränden, und es wird ihn auch weiter geben", versicherte er am Dienstag.

Kreative Ministeramtsverteilung

Eigentlich hatte Netanjahu schon vor fast einem Monat eine neue Regierung präsentieren wollen. Nun gestalten sich die Verhandlungen zäh. Zuerst ging es darum, die Ministerämter zu verteilen. Die einzelnen Parteien stellten so hohe Ansprüche, dass Netanjahu sich nicht anders zu helfen wusste, als die Ämter auf kreative Weise zu zerstückeln: So wird der ultraorthodoxe Arye Deri zuerst zwei Jahre lang Innen- und Gesundheitsminister, danach übernimmt er für zwei Jahre das Finanzministerium. Auch in anderen Ministerien sollen Rotationsmodelle möglich machen, dass bei der Ämterverteilung gewiss niemand leer ausgeht. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 14.12.2022)