Ich bin ein erbärmlicher Loser, der den ganzen Tag in seinem Zimmer hockt und Computerspiele spielt. Als meine Eltern ohne uns auf Urlaub fahren, schreiben sie mir in einer Nachricht, dass ich eine Enttäuschung bin und mir ein Beispiel an meiner Schwester nehmen sollte. Meine Schwester, die Koksnase ... ist aber eigentlich egal. Denn kurz darauf landen Aliens auf der Erde, die die Menschen zu interstellaren Drogen verarbeiten wollen. Zum Glück finde ich eine sprechende Waffe, mit der ich wild um mich schießen kann.

Willkommen bei "High on Life", dem jüngst veröffentlichten Werk von Justin Roiland – seines Zeichens Co-Erschaffer der äußerst derben Sci-Fi-Zeichentrickserie "Rick and Morty" und Sprecher des Morty-Charakters. DER STANDARD hat den Wahnsinn für einen Abend auf der Xbox Series X via Cloud-Gaming angespielt.

Squanch Games

Gleich zu Beginn des Spiels treffen wir auf jene Knarre, die mit der Stimme Justin Roilands spricht und als solche das Geschehen kommentiert: Der Morty mit Munition erklärt uns, wie wir diverse Tools verwenden und wo wir als Nächstes hingehen sollten, oder äußert ein paar mehr oder weniger flotte Sprüche – das teils nervöse Stottern, Mortys Markenzeichen, wird auch hier zelebriert –, wenn wir gerade wieder eine Horde Außerirdischer erschossen haben.

Später kommen weitere lebende Waffen hinzu. So retteten wir im kurzen Anspielen ein sprechendes Messer, das sich durch ein soziopathisches Verhalten und besonders verstörende Aussagen bemerkbar macht. Geschmacksprobe gefällig? "Ich reiße dir den Anus so weit auf, dass die Scheiße von selber rausläuft", ist das Erste, was wir von unserem neuen Freund hören – wobei "Freund" der falsche Ausdruck ist: Das Comicmesser würde auch uns liebend gerne abstechen, wenn es die Gelegenheit dazu bekäme.

"High on Life" mit "Rick and Morty"-Humor

Dieser Humor ist es, der auch schon "Rick and Morty" auszeichnete: eine Serie, die Fans auf der einen Seite regelrecht verschlingen und bei jeder Gelegenheit zitieren, während sich andere Menschen nur angewidert abwenden können. Ähnlich läuft es mit "High on Life" – allerdings: Blickt man unter die Oberfläche, so haben beide Werke mehr zu bieten als Drogenwitze und Fäkalhumor. Oft werden aktuelle Entwicklungen angeprangert, der Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten.

So teleportiert die Waffe unser Haus flugs auf einen fremden Alien-Planeten, auf dem wir den Job eines Kopfgeldjägers annehmen. Für diesen bekommen wir einen entsprechenden Anzug mit Augmented-Reality-Display, für das jedoch die Lizenz abgelaufen ist – und bis wir diese wieder aktivieren, wird unser Sichtfeld mit nervigen Spam-Pop-ups zugemüllt.

Das Messer (links) ist soziopathisch, die Knarre (rechts) führt für uns auch die Dialoge mit den Aliens.
Foto: Screenshot

In das Spiel integriert ist ein Forum, in dem sich die Kopfgeldjäger unterhalten. Und obwohl eingangs detaillierte Diskussionsregeln vorgegeben werden, laufen Konversationen dort in etwa folgendermaßen ab:

Frage: "Ich habe etwas Zeit totzuschlagen. Was ist heutzutage der lokale Hotspot?"

Antwort: "Wie wäre es mit deinem Arschloch?"

Zu heftig? Ja, bestimmt, aber wer nur einen Blick auf das aktuelle Diskussionsniveau auf Twitter und anderen Social Networks wirft, der merkt, dass diese fiktiven Darstellungen nicht allzu weit von der Realität entfernt sind. Und solche satirischen Überzeichnungen zeigen eigentlich nur, wie kaputt unsere Gesellschaft inzwischen ist.

Abwechslungsreiches Gameplay

Zumindest in den ersten Stunden ist der Humor der klare Star des Spiels – sofern man gewillt ist, sich darauf einzulassen. Gepaart wird dieser mit einer schrägen 3D-Comicgrafik und Sprechern, denen man gerne glaubt, dass sie Spaß bei der Arbeit hatten. In Summe geben Sound und Grafik ein rundes Gesamtbild ab, das in seiner Obskurität optimal zum satirischen Inhalt passt.

Zudem wirkt das Gameplay äußerst abwechslungsreich: Die Waffen dürften jede für sich eigene Besonderheiten und Neurosen haben, die Aufgaben variieren – gleichzeitig helfen im Heads-up-Display angezeigte Waypoints dabei, dass man den roten Faden nicht verliert.

Dieses Video von IGN zeigt die ersten 17 Minuten von "High on Life".
IGN

Für Fans definitiv einen Versuch wert

Auf Steam wird "High on Life" von 356 Bewertungen als "Sehr positiv" eingeschätzt, auf Metacritic vergeben insgesamt sieben professionelle Kritiker im Schnitt 76 von 100 möglichen Punkten – recht gute Ergebnisse also. Howlongtobeat.com rechnet mit einer Gesamtspielzeit von rund elf Stunden.

Auch ich würde nach dem ersten Anspielen "High on Life" jedem Menschen empfehlen, der schon "Rick and Morty" mochte und an manchen Stellen die Sozialkritik hinter dem meist brutal-derben Fäkalhumor versteht. Wer jedoch angesichts der hier angeführten Beispiele bereits angewidert wegklicken möchte, der sollte auch um das eigentliche Spiel einen großen Bogen machen. Harmloser wird es nämlich sicher nicht. (Stefan Mey, 14.12.2022)