Umweltministerin Leonore Gewessler und EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius schreiben in ihrem Gastkommentar anlässlich der UN-Konferenz zur Biodiversität in Montreal darüber, wie man den Biodiversitätsverlust stoppen könnte.

Fast eine Million Arten wird in den kommenden Jahren aussterben, wenn wir unseren Umgang mit der Natur nicht drastisch ändern. Vögel, Säugetiere und Amphibien sterben hundertmal schneller aus als in den Jahrmillionen bevor es den Menschen überhaupt gab. Ihr Bestand ist in den letzten 50 Jahren bereits um 68 Prozent zurückgegangen.

Wie kann man den weltweiten Artenschwund bekämpfen? Auf der COP 15 sucht man Lösungen.
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Die UN-Konferenz zur Biodiversität in Montreal (COP 15) könnte eine der letzten Gelegenheiten sein, diese Kurve des Verlustes an Biodiversität noch abzuflachen.

Österreich steht Seite an Seite mit der Europäischen Union, wenn es darum geht, einen ambitionierten neuen globalen Deal einzufordern. Dies bedeutet, dass wir uns verpflichten, die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme zu gewährleisten. Mehr Agrarökologie, weniger Umweltverschmutzung und ein geringerer Einsatz an Pestiziden, ein Einhalt bei der Abholzung und eine stärkere Rückbesinnung auf die Kreislaufwirtschaft. Die Ziele der Biodiversität müssen in allen Politikbereichen und in allen Sektoren unserer Wirtschaft fest verankert werden.

Das Montrealer Abkommen muss klar formulierte Ziele für den Schutz und die Wiederherstellung beinhalten. Wir schließen uns den vielen Nationen an, die sich dafür einsetzen, dass bis 2030 30 Prozent der weltweiten Landflächen und Ozeane unter Schutz gestellt oder durch andere wirksame Schutzmaßnahmen abgedeckt werden. Auch ein Prozess zur Beseitigung der Schäden an mindestens drei Milliarden Hektar degradierter Land- und Meeresgebiete ist notwendig. Und wir brauchen einen soliden Überwachungsrahmen, um die Einhaltung dieser Ziele zu überprüfen.

"In Montreal werden sich die EU und Österreich um eine klare und praktische Lösung bemühen, die Rechtssicherheit schafft und den offenen Zugang für die Wissenschaft bewahrt."

Der Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen kosten Geld. Ein weiteres Kernziel von Montreal ist daher die Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel aus öffentlichen und privaten Quellen auf nationaler und internationaler Ebene. Wir müssen die öffentlichen und privaten Finanzströme mit den Zielen der Biodiversität in Einklang bringen. Dies umfasst auch offizielle Entwicklungshilfe für Biodiversität.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat für den Zeitraum 2021–2027 eine Verdoppelung der von der EU für internationale Maßnahmen für Biodiversität gewährten Unterstützungen auf sieben Milliarden Euro versprochen. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten stehen voll und ganz hinter der Notwendigkeit einer fairen und gerechten Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung der für den globalen Süden so wichtigen genetischen Ressourcen ergeben. Jetzt gilt es, die bestehenden Rahmenbedingungen zu verbessern und innovative Ansätze zu erforschen, wobei die Verbindung zur Erhaltung gestärkt werden muss. In Montreal werden sich die EU und Österreich um eine klare und praktische Lösung bemühen, die Rechtssicherheit schafft und den offenen Zugang für die Wissenschaft bewahrt.

Stopp von Straßenbauprojekten

Österreich tut alles, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Das Klimaschutzministerium hat vor kurzem die Notwendigkeit aller großen Straßenbauprojekte, die unter früheren Regierungen geplant wurden, evaluiert. Die Hauptgründe für diese Bewertung umfassten die Fragmentierung von Landschaften durch menschliche Aktivitäten und Infrastruktur als Hauptursachen für den schwindenden Bestand an Wildtieren in Europa. Lärmbelastung und verkehrsbedingte Verschmutzung bedrohen auch das Wohlbefinden von Mensch und Umwelt und beeinträchtigen den landschaftlichen Reiz und die Erholungsqualität. Angesichts dieser wissenschaftlichen Voraussetzungen war der Stopp von Straßenbauprojekten, die unsere einzigartige Flora und Fauna gefährden, die logische Konsequenz.

Diese Entscheidungen zeigen einmal mehr: Das Engagement junger Menschen für die Natur ist eine starke Kraft. Der Stopp eines großangelegten Straßenbauprojekts im Gebiet des Nationalparks Donau-Auen in der Nähe von Wien wurde maßgeblich von der jungen Klimabewegung unterstützt. Ihre Aktivitäten fanden große Beachtung in der breiten Öffentlichkeit, in den Medien und bei politischen Entscheidungsträgern.

Verbindliche Ziele

Wir sind nicht gegen Entwicklung, aber die Entwicklung muss nachhaltig und naturverträglich sein. Das ist durchaus möglich, wie die Biosphärenreservate zeigen.

Die Europäische Union zeigt mit zahlreichen Initiativen, dass dies durchaus machbar ist. Um zwei ganz wichtige zu nennen: die EU-Biodiversitätsstrategie mit Maßnahmen, um die Natur in Europa bis 2030 auf den Weg der Erholung zu bringen, und ein von der Europäischen Kommission vorgeschlagenes Gesetz zur Wiederherstellung der Natur mit verbindlichen Zielen für alle unsere Mitgliedsstaaten.

In Österreich lautet unser Leitsatz "Eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder". Deshalb wurde der neuen Biodiversitätsstrategie 2030 eine neue Vision für die Biodiversität in Österreich 2050 vorangestellt, die wir im Rahmen eines nationalen Jugendwettbewerbs erarbeitet haben. Darüber hinaus ist der nationale Biodiversitätsfonds ein nützliches Instrument, um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen.

Wir glauben beide fest daran, dass es noch Hoffnung gibt. Wir können den derzeitigen Kurs des Biodiversitätsverlustes ändern! Aber wie es Jane Goodall so schön ausgedrückt hat: "Hoffnung darf nicht nur Wunschdenken sein. Sie muss jetzt in die Tat umgesetzt werden." (Leonore Gewessler, Virginijus Sinkevičius, 14.12.2022)