Szene aus einer Wiener Ambulanz: Die Ländervertreter beklagen, dass die Krankenkassen wichtige Leistungen nicht finanzierten, weshalb Patientinnen und Patienten unnötigerweise in den Spitälern landeten.

Foto: Heribert Corn

Es ist ein großes Match um Macht und Milliarden: Am Montagnachmittag starten die Verhandlungen zum neuen Finanzausgleich. Dabei geht es um nichts weniger, als das Gros der staatlichen Steuereinnahmen unter Bund, Ländern und Gemeinden aufzuteilen. Entsprechend groß ist die zur Disposition stehende Summe. 2021 betrugen die sogenannten gemeinschaftlichen Bundesabgaben 93,3 Milliarden Euro.

In der Regel findet der Ausgleich alle fünf Jahre statt, bis Anfang 2024 muss eine Einigung stehen. Doch schon jetzt preschen die Bundesländer mit markanten Forderungen vor. Was die Wortführer Peter Hacker, sozialdemokratischer Stadtrat in Wien, und Christian Stöckl, ÖVP-Landesrat in Salzburg, vor einer ausgewählten Runde von Journalisten skizzierten, klingt für heimische Verhältnisse geradezu umstürzlerisch.

Ansetzen wollen die beiden beim Gesundheitssystem, das stetig mehr Geld verschlingt. Nicht nur die demografische Entwicklung, die für einen wachsenden Patientenkreis an älteren Menschen sorgt, lasse die Kosten steigen, merken Hacker und Stöckl an. Ins Gewicht fielen auch "Leistungsverschiebungen": Die Spitäler müssten Behandlungen übernehmen, die dort nicht stattfinden sollten.

Ewiges Pingpongspiel

Dazu muss man wissen, dass Finanzierung und Kompetenzen im Gesundheitswesen geteilt sind. Die Sozialversicherung, ergo die Krankenkassen, sind für die niedergelassenen Ärzte zuständig – genannt "extramuraler" Bereich. Die Spitäler – der "intramurale" Sektor – obliegen im Wesentlichen den Ländern. Experten halten diese Zersplitterung für eine große Schwäche. Weil die jeweiligen Verantwortlichen Kosten vermeiden wollen, werde versucht, Leistungen möglichst auf der anderen Seite zu belassen. Behandlungen fänden deshalb oft nicht dort statt, wo sie für die Patienten am sinnvollsten und für die Allgemeinheit am günstigsten wären.

"Wir wollen dieses öde Pingpongspiel beenden", sagt Hacker und beklagt eine Schieflage zulasten der Länder. An sich müsste die Krankenkasse Leistungen "dramatisch" ausbauen, mehr Primärversorgungszentren und Stellen für Kassenärzte schaffen, so der Stadtrat: Da die aus den Sozialversicherungsbeiträgen gespeisten Mittel aber begrenzt sind, "wird das verweigert". Die steigenden Kosten blieben somit an den Ländern hängen – denn die müssen die Finanzierungslücken in den Spitälern schließen.

Lange Anreise für eine Spritze

Als typisches Beispiel nennt Stöckl den Umgang mit den sogenannten Ivom-Spritzen, einer Therapie gegen Augenerkrankungen. Jeder Augenarzt im niedergelassenen Bereich könne diese Injektion setzen, so der ÖVP-Politiker. Doch das passiere nicht, weil die Krankenkassen keine ausreichenden Honorare zahle, um die Kosten für die Mediziner zu decken. Folglich bleibe es in seinem Heimatbundesland zwei Spitälern in Salzburg und Zell am See überlassen, die stark steigende Nachfrage zu decken – mit weiten Anreise für Betroffene als Nebenwirkung.

Allerdings ist anzumerken, dass auch aus der Sozialversicherung ein Beitrag in die Krankenhäuser fließt. Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) berappt als größte Trägerin 5,42 Milliarden im Jahr.

Was sich nun ändern soll? Die Länder wollen die Trennung nach intramuralem und extramuralem Bereich aufbrechen und eine dritte Säule errichten. Dort sollen einerseits die Ambulanzen der Spitäler, anderseits die von den Kassen geführten Primärversorgungszentren, Ambulatorien und die anderen in größere Organisationseinheiten gefassten Angebote vereint werden. Diese Schiene solle künftig vom Bund direkt finanziert werden. Damit würde sich die Debatte erübrigen, wer welche Leistung zahlen soll, so die Hoffnung.

Ruf nach zusätzlicher Milliarde

Die Erfinder stellen folgende Rechnung auf: Von derzeit 16 Milliarden Euro für die Spitäler sollten rund drei Milliarden in die neue Säule wandern, von zwölf Milliarden für den niedergelassenen Bereich fünf Milliarden. Sei das erst einmal geschehen, brauche es zusätzliche Investitionen, etwa für Gruppenpraxen und andere dezentrale Einrichtungen. "Ich wäre nicht überrascht", sagt Hacker, "wenn wir uns da bei einer Milliarde bewegen." Die soll naturgemäß vom Bund kommen, der hierzulande die Steuern einhebt.

Alle neun Landesregierungen stünden hinter dem Vorschlag, berichtet das rot-schwarze Duo. Auch Gesundheitsminister Johannes Rauch sei von der Idee angetan.

Auf Nachfrage des STANDARD will das der Grünen-Politiker so aber nicht bestätigen. Er begrüße neue Ideen – ob der Vorschlag jedoch wirklich eine bessere Kompetenzaufteilung bringe, sei erst bei den Verhandlungen zu prüfen.

Emotional heikle Debatte

Noch einen "Tabubruch" (Hacker) wollen die Länder erreichen: Der Einkauf der Medikamente solle künftig zentral erfolgen. Damit solle garantiert werden, dass überall im Land die gleichen Arzneimittel zur Verfügung stehen. Außerdem verspreche mehr Verhandlungsmacht bessere Einkaufspreise – obwohl Österreich am internationalen Pharmamarkt selbst dann noch "ein Zwutschgerl" sei.

Dass eine solche Einigung "emotional superschwierig" werde, sei allerdings auch absehbar, ergänzt der Stadtrat. Derzeit habe ja jeder Spitalsverbund seine eigenen Einkäufer: "Wir können davon ausgehen, dass jeder davon überzeugt ist, der beste Verhandler zu sein." (Gerald John, 15.12.2022)