Peter Brötzmann im Wald am See.

Foto: Han Bennink

Peter Brötzmann im Wald am See.

Foto: Han Bennink

Peter Brötzmann im Wald am See.

Foto: Han Bennink

Han Bennink bespielt einen Schwarzwaldsee.

Foto: Peter Brötzmann

Han Bennink bespielt Baumstämme.

Foto: Peter Brötzmann

Wahrscheinlich hat Peter Brötzmann Henry David Thoreaus frühen Aussteigerroman Walden von 1854 sogar gelesen. Allerdings verbindet man mit seinem ein Jahrhundert später entwickelten, brüllenden und testosteronhaltigen Free Jazz nicht unbedingt das romantische Loblied auf eine spartanische Lebensweise im Einklang mit der Natur. Da war im Becher dann lange Jahre statt Quellwasser doch eher der Wodka drin. Wobei sich das Wort Wodka ja von Wasser ableitet – aber das wissen die Free-Jazzer eh alle selbst.

Im Frühjahr 1977 jedenfalls zog Peter Brötzmann gemeinsam mit dem niederländischen Schlagwerker und Multiinstrumentalisten Han Bennink in einem mit Saxofonen, Klarinetten, Vogellockpfeifen, Tonbandgerät, Fotoapparat und diversen Perkussionsteilen vollgestopften Kastenwagen los, um drei Tage lang in den unheimlichen Schwarzwald zu rufen – darauf wartend, dass es aus dem Wald entsprechend zurückschallt.

Mit Ausnahme von aufgeschreckten Vögeln und Sturmwind und Kälte reagiert der Schwarzwald allerdings, so wie jeder Feind, vor dem man Angst haben muss, es erst einmal tut: Er reagiert gar nicht. Die Welt ist leer und kalt. Die Seen im Wald sind im Mai teilweise noch zugefroren.

Free Forgotten Music

Han Bennink schmeißt Steine aufs Eis und klöppelt Marschrhythmen auf Baumstämme. Peter Brötzmann bläst Jägerlatein und Halali ins Horn. Seine Finger frieren am Saxofon fest. Nicht immer wird sanft geblasen, manchmal packt den ohnehin immer mürrischen Brötzmann bei so viel feindlicher Umgebung auch der Zorn. Es könnte schlimmer kommen. Es könnte regnen. Nun regnet es. Die Laune ist im Keller.

Nur die Vögel tschilpen und tirilieren. Der Wald rauscht. Holz knackst mit Echoeffekt. Ein Flugzeug zieht vorüber. Das Tonband beginnt zu eiern. Die Batterien werden leer. Ist das tierischer Ernst, oder spielen hier gerade zwei heilige Narren mit sich und dem Leben?

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Iwan Turgenjew und Fjodor Dostojewski haben sich im Schwarzwald in den 1860er-Jahren übrigens lebenslang verfeindet. Turgenjew schrieb hier die Geister. Mit dem heiteren Schlager Eine Schwarzwaldfahrt von Horst Jankowski von 1965 hat das alles nichts zu tun. Die lange vergriffene und jetzt bei Trost Records als CD mit Fotobuch neuaufgelegte Schwarzwaldfahrt von Brötzmann/Bennink ist Kampfmusik, Meditation, Resignation, Aufbegehren. Für Bäume-Umarmer ist sie nicht gedacht. Was für ein wunderbares wüstes Album! Punk, 1977. (Christian Schachinger, 16.12.2022)