Wie gendergerecht sollte unsere Sprache sein?
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Pro

von Walter Müller

Haben wir keine anderen Sorgen, als uns jetzt, in wirklich kummervollen Zeiten, ausgerechnet mit diskriminierungsfreier Sprache zu beschäftigen?

Ja, viele stehen vor existenziellen Herausforderungen, globale Krisen bedürfen unser aller Aufmerksamkeit. Krieg, Energie, Armut, Migration. Und dennoch können und sollten wir auch über gendergerechte Sprache reden. Es wird nie einen idealen Zeitpunkt dafür geben.

Jetzt darüber zu diskutieren sei ein "politischer Wahnsinn", poltert die FPÖ, "ein Genderwahnsinn", schreibt die Krone. Zumindest in Kärnten, wo ein heißer Streit tobt um einen Gender-Leitfaden für die Landesverwaltung: mit Tipps, wie in den Amtskorrespondenzen geschlechtergerechte Formulierungen eingebaut werden könnten. Kärnten hat als Fleißaufgabe dazu ein umfangreiches Wörterbuch erstellt – das dritte Geschlecht inklusive. Schade, dass es nun zurückgezogen wurde. Es wäre ein schönes Signal aus dem südlichen Bundesland gewesen.

Sprache schafft Bewusstsein, schafft Bilder im Kopf, und manche sollten endlich korrigiert werden. Gendergerechte Sprache ist ein integrales, zentrales Element eines diskriminierungsfreien Zusammenlebens in der Gesellschaft. Das kommt jetzt mal schräg, mal sprachlich unsinnig daher. Egal, der Diskurs darüber ist alternativlos. An die jene, die jetzt wieder den Untergang des Abendlandes am Horizont heraufdämmern sehen: Willkommen im 21. Jahrhundert. (Walter Müller, 15.12.2022)

Kontra

von Thomas Mayer

So mancher Bauer im Kärntner Gailtal oder Bäuerinnen hoch oben in den Gurktaler Alpen sollten sich bald wundern, wie in Landesämtern über sie gesprochen wird. Die Regierung in Österreichs südlichstem Bundesland hat entdeckt, dass sich im geschlechtergerechten Umgang miteinander einiges geändert hat. Rechtzeitig zu Beginn des Wahlkampfes wurde daher ein "Genderleitfaden" erarbeitet. Bauer und Bäuerin sollten im Amtsdeutsch "Landwirtschaft Betreibende" heißen. Gesprochen: "Londwirtschaft".

Das klingt zwar ähnlich unschön wie der Amtsschimmel, wenn er wiehert. Aber den föderalen Bürokraten ist kein Knirschen im Ohr zu viel, wenn es darum geht, vermeintlich fortschrittlich und modern zu sein. Deshalb sollten Gäste am Wörthersee zur Besuchsperson, Mutter und Vater zum Elternteil, Journalistinnen zu "berichterstattenden Personen" werden.

Sprache ist eine der lebendigsten Dinge der Welt. Sie ändert sich ständig. Und klar, auch Behörden müssen dem gewandelten Identitäts- und Gerechtigkeitsverständnis der Gesellschaft folgen. Aber sie müssen nicht jeden sprachlichen Exzess mitmachen. Es reicht schon, wenn ORF-Moderatoren in Nachrichtensendungen ungelenk über phonetische Pausen stolpern.

Es ist daher gut, wenn nun das Wörterbuch zum Leitfaden zurückgezogen wurde – für eine offene Debatte. Menschen, die "Kunstwörter" ohne Rhythmus unschön finden, sind nicht per se "Gscherte". Man kann darüber reden, FPÖ hin oder her. (Thomas Mayer, 15.12.2022)