Die litauische Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla wird Werke von Mieczysław Weinberg und Prokofjew interpretieren.
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Wenn man das Prinzip Adventkalender von 24 auf 365 Tage expandiert, dann kann man das neue Jahr auch als eine XXL-Geschenkebox betrachten, die täglich bereichernde Überraschungen aller Art bereithält. Auch das Wiener Konzerthaus befüllt diese Box emsig, beinahe allabendlich öffnen sich im palastähnlichen Gebäude an der Lothringerstraße die Türen, um Musikinteressierte mit vielfältigen Konzerterfahrungen zu beglücken.

Was wartet da 2023 in den zahlreichen Sälen unter der Erde und im ersten Stock auf das Publikum? Gleich zu Beginn die Wiener Symphoniker, zum Beispiel. Neben Franz Schmidt widmet sich das Konzertorchester der Stadt Wien in dieser Saison schwerpunktmäßig auch dem Schaffen von Johannes Brahms. Dessen erste und zweite Symphonie leitet im Jänner 2023 mit Pablo Heras-Casado ein Dirigent mit großem musikhistorischem Horizont und erfrischenden Interpretationen (9./10. 1.).

Der junge und vielseitige isländische Pianist Víkingur Ólafsson wird Edvard Griegs Klavierkonzert interpretieren.
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Mit dem Swedish Chamber Orchestra kann man dann im Februar eine musikalische Reise nach Prag unternehmen, in Mozarts Wohlfühlstadt. Mit von der Partie sind Mezzosopranistin Ann Hallenberg und Klarinettist Martin Fröst. Neben Mozarts Klarinettenkonzert, der Ouvertüre zu Don Giovanni und, selbstredend, der Prager Symphonie sind auch Arien aus La clemenza di Tito zu hören (13./14. 2.).

Freunde der Blasmusik

Am Tag danach können Freundinnen und Freunde der Blasmusik im Konzerthaus einer austrokanadischen Verschmelzung beiwohnen, beim gemeinsamen Konzert des Blechbläser-Septetts Federspiel und der fünf Männer von Canadian Brass (15. 2.). Ende März spielt es sich dann so richtig ab im Konzerthaus: Erst gastiert das Saint Louis Symphony Orchestra unter der Leitung von Stéphane Denève am Heumarkt, der isländische Pianist Víkingur Ólafsson wird Griegs großartiges Klavierkonzert interpretieren (23. 3.). Nur vier Tage danach sind die Philharmoniker mit Geiger Leonidas Kavakos und Brahms’ Violinkonzert zu erleben. Dirigent Herbert Blomstedt wird mit Carl Nielsens 5. Symphonie an seine skandinavischen Wurzeln erinnern (27. 3.).

Grigorij Sokolovs Interpretationen schnurren stets mit der allergrößten Präzision ab und wirken doch immer völlig frei. Was er spielen wird, ist noch nicht bekannt.
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Exakt eine Woche nach Griegs Klavierkonzert kann man ein Werk erleben, das hierfür eine prägende Vorbildfunktion hatte: das a-Moll-Konzert von Robert Schumann. Kirill Gerstein wird den nach dem "Per aspera ad astra"-Prinzip konzipierten Dreisätzer mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra zu Gehör bringen, davor und danach wird man unter der behänden Leitung von Chefdirigentin Mirga Gražyntė-Tyla einer Sinfonietta von Mieczysław Weinberg und Ballettmusik von Prokofjew lauschen können (30. 3.).

Gefeierter Frühling

Im Gang durch die Monate sei en passant der April-Auftritt der wundervollen Janine Jansen erwähnt: Die herausragende Geigerin widmet sich mit der Camerata Salzburg dem bekanntesten Bürger der Stadt an der Salzach. Neben dem B-Dur-Konzert KV 207 wird die Niederländerin zusammen mit Konzertmeister Gregory Ahss das Concertone für 2 Violinen in C-Dur spielen (24./25. 4.).

Eine coole Stimme und eine Spezialistin für Jazzballaden: Sängerin und Pianistin Diana Krall, die gleich zwei Konzerte gibt.
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Schon zu Beginn des Monats feiern die Wiener Symphoniker in traditioneller Weise den Frühling in Wien: In diesem Jahr wird Petr Popelka die Klänge von Johann Strauss (Sohn), Franz Lehár und Robert Stolz erblühen lassen; Regula Mühlemann, Porträtkünstlerin des Konzerthauses in der aktuellen Saison, wird dem jungen Tschechen dabei mit ihrem glänzenden Sopran assistieren (8./9. 4.).

Der Mai wird im Konzerthaus wieder etwas klavierlastiger: Erst gastiert Diana Krall zweimal im Großen Saal. Muss man über die singende Jazz-Ikone aus Kanada, die (neben vielen anderen) schon mit Barbra Streisand und Tony Bennett musiziert hat, noch viele Worte verlieren? Muss man nicht (15./17. 5.).

Allergrößte Präzision

Im Gegensatz zu Krall singt Grigory Sokolov (zumindest öffentlich) eher ungern, aber Klavier spielen, das kann der 72-Jährige natürlich mindestens genauso gut. Sokolovs Interpretationen schnurren stets mit der allergrößten Präzision ab und wirken doch immer völlig frei. Bei heruntergedimmter Saalbeleuchtung erzählt der Mann im Frack am Klavier die berührendsten Geschichten. Welche genau, das ist übrigens noch nicht bekannt: Das Programm für sein Recital wird erst bekanntgegeben (24. 5.).

Federspiel bereisen die Stilwelt: Es gibt Eigenkompositionen, aber auch Arrangements bekannter Walzer, Polkas und Märsche.
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Jenes von Teodor Currentzis und dessen neuem Orchesterprojekt Utopia ist hingegen schon länger fix: Der umstrittene Star der Dirigentenzunft wird im Juni Mahlers dritte Symphonie zur Aufführung bringen. Im vergangenen Oktober hat der Grieche mit russischem Pass sein neues Ensemble erstmals im Wiener Konzerthaus vorgestellt, Jubelchöre waren als Reaktion auf ein superdynamisches, megaintensives Debussy/Ravel-Programm gefolgt (9./11. 6.). Wem bei einer derartigen Überfülle die Qual der Konzertwahl schwerfällt, dem offeriert das Konzerthaus übrigens ein Paketangebot: Wenn man sich für mindestens drei von den 19 angebotenen Konzerten entscheidet, kommt man in den Genuss ermäßigter Kartenpreise. Ein substanzvolles Geschenk? What else ... (Stefan Ender, 16.12.2022)