Die Londoner Otolith Group beschreitet die nicht ausgetretenen Wahrnehmungs-pfade. Im Essay-film "What the Owl Knows" zu sehen ist etwa die Porträtmalerin Lynette Yiadom-Boakye.

Foto: Iris Ranzinger

Die Eule. Sie ist anders als andere Vögel, jagt in der Nacht, bleibt gerne für sich und ist – laut Fabel – die große Weise unter den Tieren. In dem fast einstündigen Essayfilm What the Owl Knows der britischen Otolith Group steht dieser Vogel für das nächtliche Andere, für die Selbstermächtigung des Undergrounds gegen den Mainstream – kurz für die großen Themen des 2002 gegründeten Kollektivs um den Londoner Popkultur-Theoretiker und Journalisten Kodwo Eshun und die Sozialanthropologin Anjalika Sagar.

Gezeigt wird der von der Secession beauftragte Film als Kernstück einer kleinen Schau, die sich über zwei Räume im Souterrain erstreckt: In dem geloopt projizierten Video sieht man die mit Sagar und Eshun befreundete, ghanaisch-britische Malerin und Poetin Lynette Yiadom-Boakye parallel montiert mit den nächtlichen Flügen einer Eule. Dabei ist das hier kein Künstlerporträt im klassischen Sinn. Eher eine assoziative Annäherung, so wie sich die Otolith Group in früheren multimedialen Arbeiten bereits anderen schwarzen Künstlern annäherte: etwa der Science-Fiction-Autorin Octavia Butler etwa oder dem in Armut verstorbenen Avantgarde-Komponisten Julius Eastman, den sie auf diese Weise ins kollektive Gedächtnis der Kunstwelt reklamierte.

Kraftakt der Ermächtigung

In ihrer Selbstdefinition blieb die Otolith Group übrigens stets vieldeutig. Doch ein Ziel hat sie immer wieder formuliert: die Wahrnehmung von Bildern abseits ausgetretener Diskurspfade. Zu diesem Zweck produziert sie seit 20 Jahren im losen Verbund mit einem Kollektiv, dem Otolith Collective, Film- und Videokunst, kuratiert Ausstellungen, veröffentlicht Bücher und stößt Diskussionen im Internet an.

In der Videoarbeit What the Owl Knows ignoriert die Gruppe dementsprechend alle Genrekonventionen. Wenn Lynette Yiadom-Boakye an ihren großformatigen Ölgemälden arbeitet, zeigt die Kamera nicht ihr Gesicht, sondern ihre Schultern. Es geht um den Kraftakt und den Akt der Selbstermächtigung (Wie viele schwarze Porträtmalerinnen kennt die weiße Kunstgeschichte?) – und nicht um die individuelle Biografie.

In einer von der Otolith Group initiierten Diskussion, die auf Youtube zu sehen ist, wirft Anjalika Sagar die Frage auf, wie Kunst beschaffen sein muss, um die Zeit zu verlangsamen und echte Gedankenräume entstehen zu lassen. Eine mögliche Antwort lautet: so wie dieses Video, das im dunklen Bauch der Secession zu sehen ist. Formal karg, dafür reich an Assoziationen, die jeder für sich selbst entwickeln kann. Man muss nur Zeit mitbringen, um sich einzulassen auf die zunächst ungewohnt sperrig wirkenden Aufnahmen von Vogel, Künstlerin und Nacht. (Maya McKechneay, 20.12.2022)