EU-Gaspreisdeckel: Es bewegt sich gemeinschaftlich doch etwas weiter, aber zu langsam, zu zäh.

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Gut Ding braucht Weile. Dieser Sinnspruch mag auf manch staatliche Maßnahme in den EU-Mitgliedsländern zutreffen, die der Bevölkerung angesichts der stark gestiegenen Gaspreise das Heizen im Winter erleichtern soll. Auf den von den EU-Energieministern am Montag in Brüssel erzielten Kompromiss zu einem sogenannten "Gaspreisdeckel" trifft das nicht zu.

Das beginnt schon beim Begriff. Von einem "Deckel" – umgangssprachlich also für Obergrenze – bei Preisen in dem Sinn, dass die Kunden mit einem Maximalpreis rechnen und ihre monatlichen Ausgaben für Energie abschätzen könnten, kann in der Praxis keine Rede sein. Nicht einmal eine "Gaspreisbremse" ist es, was auf dem Tisch liegt. Das Projekt zielt auf einen komplizierten "Korrekturmechanismus" im freien Gasmarkt ab, der zunächst nur für Großkunden und Händler gilt. Das Ganze wird auf ein Jahr begrenzt und ist mit Ausnahmen versehen, die es in der Praxis unwahrscheinlich machen, dass der Mechanismus je zur Anwendung kommen wird.

Endkunden profitieren nur im Extremfall

Private kleine Verbraucher in Haushalten oder Unternehmen würden wohl nur dann profitieren, wenn die Börsen, die sich an einem Hub in den Niederlanden (TTE) orientieren, komplett aus dem Ruder laufen. Das ist zwar schon einmal im August passiert, aber nur für einen sehr kurzen Zeitraum. Die Spitzenpreise von 340 Euro pro Megawattstunden wurden damals aber rasch wieder stark reduziert. Inzwischen haben sich die Großhandelspreise wieder einigermaßen stabilisiert, bei aktuell etwa 110 Euro pro Megawattstunde.

Die Preise für Endkunden sind dennoch immer unverändert extrem hoch im Vergleich zu vor einem Jahr geblieben. Nach langem Hin und Her hat man sich nun darauf geeinigt, dass die EU-Kommission bereits intervenieren kann, wenn der Großhandelspreis mehr als drei Tage lang auf 180 Euro pro Megawattstunde respektive 35 Euro über dem globalen Handelspreis von Flüssiggas steigt, also um gut 100 Euro weniger als bisher vorgeschlagen.

Geöffnete Hintertür

Das klingt nach früher Marktintervention. Vor allem auf deutschen Druck hin wurde aber eine Hintertür geöffnet, die die EU-Intervention von hintenrum wieder aushebeln könnte. Sollte nämlich diese EU-Preisvorgabe für den Großmarkt dazu führen, dass ein Versorgungsengpass entsteht, weil globale Anbieter von Flüssiggas wie die USA, Norwegen oder Katar ihre Ware dann eben anderswo in der Welt verkaufen, wo mehr bezahlt wird, dann können auch die EU-Mitgliedstaaten einen Notfallmechanismus auslösen: Sie können dann Gas auch zu einem höheren Preis einkaufen nach dem Motto "Koste es, was es wolle".

Genau das hat Deutschland 2022 getan, um die Gaslager zu füllen. Man wird also erst sehen, wie weit die europäische Solidarität reichen wird, wenn die Gasmärkte wieder einmal verrückt spielen. Russland hat schon gedroht, wegen des Preisdiktats bald gar kein Gas mehr nach Europa zu liefern.

Sinnvolle Verknüpfung

Völlig sinnlos ist die Einigung in Brüssel freilich nicht. Mehrere Staaten haben die Einführung dieses Marktkorrekturmechanismus mit anderen EU-Vorgaben zur Absicherung der Gas- und Energieversorgung verknüpft. Sie wurden jetzt "im Paket" endlich durchgewunken, sind überfällig. Zum einen wird damit die Erzeugung erneuerbarer Energie EU-weit gepusht, sei es bei Windkraft oder Solaranlagen, vor allem im privaten Bereich: die Genehmigungsverfahren, die in einigen Staaten ewig lang dauern, müssen auf wenige Wochen und Monate verkürzt werden.

Zum anderen wird eine "Solidaritätsverordnung" Wirklichkeit. Die EU-Staaten wollen ab 2023 versuchen, den Gaseinkauf gemeinsam zu organisieren und abzustimmen. Die Ausnutzung der Marktmacht soll auf die Preise drücken. Es soll verhindert werden, dass die EU-Staaten sich beim Gaseinkauf gegenseitig ausspielen. Und sie sollen sich mit Lieferungen von Gas aushelfen, wenn irgendwo ein Notstand ausbricht. Immerhin, so gesehen hat der vereinbarte Korrekturmechanismus etwas Gutes. Es bewegt sich gemeinschaftlich doch etwas weiter, aber zu langsam, zu zäh. (Thomas Mayer, 20.12.2022)