Ausgerechnet Mike Pence verlieh am Montag seiner Sorge hinsichtlich einer möglichen Anklage gegen seinen früheren Chef Donald Trump wegen des Sturms auf das Kapitol und des Umsturzversuchs am 6. Jänner 2021 Ausdruck: "Das würde unheimlich spalten in einem Land und zu einer Zeit, wenn das amerikanische Volk sehen will, dass wir heilen", sagte der frühere US-Vizepräsident in einem Interview mit dem rechten Sender Fox News.

Pikant ist die Wortmeldung deshalb, weil Pence es war, dessen Hinrichtung der wütende, von Trump aufgestachelte Mob lautstark gefordert hatte ("Hang Mike Pence"). Der gläubige Evangelikale, der zuvor vier Jahre lang ein loyaler Gefolgsmann Trumps gewesen war, hatte sich geweigert, der Verschwörungserzählung von der "gestohlenen Wahl" zu folgen – und wurde von Anhängern des abgewählten Präsidenten dafür als Verräter gebrandmarkt.

Der "starke Mann" Donald Trump soll den Mob am 6. Jänner 2021 aufgehetzt haben, ist das Komitee überzeugt. Ob dies zu einem Prozess führt, liegt nun in den Händen des Justizministeriums.
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Abschlussbericht am Mittwoch

Trump, dem nun wegen gleich vier Anklagepunkten ein strafrechtliches Verfahren droht, soll die Bedrohung seines – damals noch amtierenden – Stellvertreters wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Dies geht aus Erkenntnissen hervor, die das von den Demokraten geführte sogenannte January-6th-Committee, das im Namen des Repräsentantenhauses nun mehr als eineinhalb Jahre lang die tödlichen Unruhen im US-Kapitol untersucht hatte, am Montag in seinem Vorabbericht präsentierte. Die gesammelten Erkenntnisse und Empfehlungen sollen dann am Mittwoch veröffentlicht werden. Doch was genau wird dem ehemaligen US-Präsidenten vorgeworfen?

  • Anstiftung zum Aufruhr

So selten dieser Straftatbestand in den USA bisher erhoben wurde, so schwerwiegend ist er: Den Buchstaben des US-Gesetzes zufolge ist er erfüllt, wenn zum "Aufstand gegen die Autorität des Staates oder der Gesetze" angestiftet wird oder wenn sich der oder die Angeklagte an einem solchen Aufstand beteiligt.

Als Strafmaß stehen darauf bis zu zehn Jahre Gefängnis – oder eine Geldstrafe, die im Falle Trumps wohl hunderttausende Dollar betragen würde. Das January-6th-Committee argumentiert, Trump habe seine Anhängerinnen und Anhänger dazu aufgerufen, nach Washington zu kommen und dort Unfrieden zu stiften – und als dieser vollends ausgebrochen war, habe der Präsident es unterlassen, auf geeignetem Wege ein Ende der Gewalt herbeizuführen.

Trump, so das Komitee, habe den Unruhestifterinnen und Unruhestiftern vielmehr "aid and comfort", also Hilfe und Trost gespendet. "Keines der Ereignisse vom 6. Jänner (2021, Anm.) wäre ohne ihn passiert", so der überparteiliche, aber von der derzeit noch demokratischen Mehrheit geleitete Untersuchungsausschuss. Schon in den Tagen und Wochen vor dem Aufstand hätten Trump und sein Anwalt John Eastman, den das 6th-January-Committee ebenfalls angeklagt sehen will, hinter den Kulissen den Aufstand vorbereitet.

Dass der Ex-Präsident nun tatsächlich wegen Anstiftung zum Aufruhr vor Gericht oder ins Gefängnis muss, steht derzeit aber keineswegs fest. Einerseits kann das January-6th-Committee dem Justizministerium keine Anklage Trumps vorschreiben, es kann sie – so wie geschehen – lediglich empfehlen. Tausende Befragungen, Vorladungen und durchforstete Akten haben aber nach Ansicht der Mitglieder genug Beweise zutage gebracht, um Trump vor Gericht zu bringen.

Ob sich Justizminister Merrick Garland, der von Joe Biden ins Amt gehievt worden war, andererseits zu einer Anklage gegen den möglichen Herausforderer seines Chefs durchringen kann, steht in den Sternen. Garland wird nachgesagt, penibel darauf zu achten, keinerlei Verdacht parteipolitisch motivierter Justiz aufkommen zu lassen. Fest steht aber: Sollte Trump tatsächlich wegen Aufruhrs verurteilt werden, ist seine politische Karriere endgültig vorbei.

  • Störung einer Amtshandlung

Was profan klingt, wächst sich angesichts des Beschuldigten – er war zum Zeitpunkt der Tat immerhin amtierender US-Präsident – doch zu einem gewichtigen Vorwurf aus. Trump habe die Arbeit des Kongresses behindert, argumentiert das Komitee, indem er den Mob zum Kapitol lotste. Dort hätten die Abgeordneten am 6. Jänner 2021 die Wahl Joe Bidens zum 46. Präsidenten zertifizieren, Trumps Abwahl also amtlich machen sollen. Und auch danach habe Trump alles getan, die Arbeit des Komitees so schwer wie möglich zu machen.

CNN

Glaubt man Mick Mulvaney, von Dezember 2018 bis März 2020 immerhin Stabschef im Weißen Haus, muss Trump vor allem davor Angst haben: In einem Interview mit CNN sagte Mulvaney, "wenn sie jemanden finden, der unter Eid aussagt, dass sich Trump oder jemand aus dessen Team Vorteile versprach oder in seine oder ihre Zeugenaussage eingegriffen hat, könnte das ein echtes Problem für ihn werden". Wie so oft im politischen Geschäft sei es nicht das Verbrechen an sich, das Trump Sorgen bereiten dürfte, sagte der einstige Trump-Intimus, sondern "dessen Vertuschung."

  • Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten von Amerika

Diese Anklage wird laut den US-Gesetzen schlagend, wenn "zwei oder mehr Personen sich verschwören, entweder einen Angriff auf die Vereinigten Staaten oder einen Betrug an den Vereinigten Staaten oder ihren Organe" zu begehen. Das January-6th-Committee ist überzeugt, dass Trump gemeinsam mit anderen versucht hat, die Arbeit der US-Regierung zu hintergehen und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 2020 zu täuschen.

  • Verschwörung zum Meineid gegenüber der Regierung und ihren Behörden

Dieser Punkt definiert es als Verbrechen, wenn ein Regierungsbeamter (der Trump damals ja war) ein Komplott zu vertuschen versucht, inhaltlich falsche Aussagen macht oder Aussagen oder Dokumente veröffentlicht, von denen er oder sie weiß, dass sie falsch sind. Auch diesen Anklagepunkt sieht der Ausschuss im Falle Trumps als gegeben. Seine Mitglieder gehen davon aus, dass Trump und seine Unterstützer geplant haben, eine Liste falscher Wähler in wichtigen Swing-Staaten vorzulegen, die ihm entgegen den tatsächlichen Wahlergebnissen den Sieg hätten bringen sollen.

18 Monate lang untersuchte das Komitee die Vorfälle auf dem Capitol Hill.
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Der solcherart düpierte Trump griff – wenig überraschend – am Montag erneut den Ausschuss an und wiederholte auf der von ihm mitbegründeten Plattform "Truth Social" seine Lüge vom Wahlbetrug: "Was mich nicht umbringt, macht mich stärker." (Florian Niederndorfer, 20.12.2022)