Bitte sich still zu beschäftigen!

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Es ist unbedingt notwendig, sich für Menschen und Themen, die einem wichtig sind, einzusetzen. Den Mund aufzumachen, wenn Ungerechtigkeiten passieren, nicht zu kuschen.

Es ist aber auch notwendig, ab und zu einfach die Pappn zu halten. Nicht jede ist, weil sie zwei Tweets gelesen hat, Expertin für mRNA-Impfstoffe, den Iran, die Klimakrise oder Transgender. Nicht jeder muss die eigene "Meinung", die eher Befindlichkeit oder Reflex ist, ins Internet schreien. Wo wir auch schon beim Modus wären, in dem das passiert. Sinnerfassendes Lesen und eine respektvolle Debattenkultur scheinen mir Mangelware in sozialen Medien geworden zu sein.

Nutzen Sie vielleicht die sogenannte stille Zeit des Jahres dazu, sich still zu beschäftigen, wie das in der Schule hieß. Ja wirklich, man kann sich still mit Themen beschäftigen, ohne sofort eine Meinung zu haben. Man kann sie sich allerdings bilden: durch etwas Recherche, das Abwägen von verschiedenen Argumenten, durch Nachdenken.

Beachten Sie auch, dass nicht alles von allen gesagt, nicht jedes Thema von jeder kommentiert werden muss. Hören Sie Menschen, die sich mit einem Gebiet tatsächlich befasst haben, zu. Es sind meistens solche, die nicht 20 Posts pro Tag absetzen, und die es schaffen, gute Argumente der Gegenseite einzuräumen oder ihre Sache in einem unaufgeregten Ton und mit ehrlichem Interesse an Diskurs zu formulieren.

Was ich da – etwas zugespitzt, wie es für Kolumnen, die ja auch Meinungselemente sind – schreibe, ist nur meine persönliche Wahrnehmung der Lage, vielleicht sogar nur eine Befindlichkeit. Und ich fürchte auch, missverstanden zu werden: Ich will niemandem einen Maulkorb verpassen, ich plädiere lediglich dafür, das gute alte Denken im zeitlichen Ablauf vor die Äußerung zu stellen. Wenn man die Pappn ab und zu hält, hat es dann auch mehr Gewicht, wenn man etwas sagt.

In diesem Sinne werde auch ich künftig mit meiner Meinung haushalten und mich beim STANDARD auf andere Formate konzentrieren. Ich bedanke mich bei allen Leserinnen und Lesern dieser Kolumne. Und vielleicht ändere ich meine Meinung über das Äußern meiner Meinung auch irgendwann einmal. Das soll keine Drohung sein. (Popkultur mit Amira Ben Saoud, 21.12.2022)