Im Zentrum unserer Heimatgalaxie tummeln sich Sterne, die von Anfang an dabei waren. Auf ihre Spur kamen die Forschenden unter anderem mithilfe von Daten des Weltraumteleskops Gaia.

Illustr.: Esa

Die Geschichte unserer Heimatgalaxie beginnt vor rund 13 Milliarden Jahren. Damit ist die Milchstraße nur ein wenig jünger als das Universum selbst. Einige der verschiedenen Epochen der galaktischen Historie konnten die Forschenden bereits rekonstruieren. Ihre Herangehensweise gleicht dabei jener von Archäologen, die der Vergangenheit einer Siedlung nach und nach auf den Grund gehen. Einem Astronomenteam ist es nun gelungen, Sterne zu identifizieren, die Zeugen der frühesten Geschichte unserer Milchstraße sind.

Ganz am Anfang einer Galaxie stehen meist kleine Proto-Galaxien, Raumregionen mit einer überdurchschnittlich hohen Dichte an Sternen, die wenige Hundert Millionen Jahre nach dem Urknall aus kollabierenden Gaswolken geboren wurden. Durch die Verschmelzung mehrerer solcher Proto-Galaxien wachsen die Sterneninseln – je nach Ablauf der galaktischen Zusammenstöße – in Jahrmilliarden zu teilweise gigantischen elliptischen, spiralförmigen oder unregelmäßigen Galaxien heran.

Inventur mit Altersangabe

Unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße, bildet da keine Ausnahme. Da sie diejenige Galaxie ist, deren Sterne wir am besten und detailliertesten untersuchen können, hilft sie bei der Rekonstruktion der Entwicklung von Galaxien im Allgemeinen. Einen wichtigen Grundstein lieferte im Frühjahr 2022 eine umfangreiche Alterserfassung: Die beiden Astronomen Maosheng Xiang und Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg bestimmten mithilfe von Daten des Esa-Satelliten Gaia und der Spektraldurchmusterung LAMOST das Alter von Sternen für eine beispiellos umfangreiche Stichprobe von 250.000 sogenannten Unterriesen.

Ein wichtiges Kriterium, um hinter das Alter eines Sternes zu kommen, ist seine sogenannte Metallizität. Sie ist definiert als die Menge an chemischen Elementen schwerer als Helium in der Atmosphäre des Sterns. Solche Elemente, in der Astronomie als "Metalle" bezeichnet, entstehen im Sterninneren durch Kernfusion und werden kurz vor oder am Ende des Lebens eines Sterns bei Supernova-Explosionen freigesetzt. Die Prozesse reichern das interstellare Gas mit schwereren Elementen an, aus dem wiederum die nächste Generation von Sternen hervorgeht – jede Generation mit einer höheren Metallizität als die vorigen.

Suche nach der früheren Generation

Anhand der Analyse von Xiang und Rix konnten die Astronomen die bewegte Jugend der Milchstraße vor elf Milliarden Jahren rekonstruieren. Dabei fiel den Forschern auf, dass selbst die ältesten Sterne bereits eine nennenswerte Metallizität aufwiesen, nämlich rund zehn Prozent der heutigen Metallizität unserer Sonne. Offensichtlich musste es vor der Entstehung jener Sterne noch frühere Generationen von Sternen gegeben haben, die das interstellare Medium bei ihrem Ableben bereits mit schweren Elementen "verschmutzt" hatten.

Die Existenz solcher früheren Sterngenerationen wiederum war keine Überraschung, denn genau solche früheren Generationen von Sternen zeigen auch aufwendige Simulationen der kosmischen Geschichte. Die Simulationen sagen außerdem voraus, wo sich heute noch Vertreter jener früheren Sterngenerationen finden lassen sollten. Trotz einer buchstäblich turbulenten Jugend legen die Simulationen nahe, dass ein Teil des ursprünglichen Kerns der Milchstraße relativ unversehrt überlebte. Demnach sollte es möglich sein, Sterne aus dem anfänglichen kompakten Kern, dem "uralten Herzen der Milchstraße", auch heute noch in und nahe den Zentralregionen unserer Galaxie zu finden – Milliarden von Jahren später.

Die Karte zeigt besonders metallarme Riesensterne. Die Konzentration in der Mitte sind die Sterne des "armen alten Herzens" der Milchstraße.
Grafik: H.-W. Rix / MPIA

Rote Riesen im Visier

Da die lichtschwachen Unterriesen in der Kernregion unserer Galaxie völlig außer Reichweite möglicher Beobachtungen liegen, verlagerte sich das Team auf Rote Riesensterne. Um deren Metallizität und dementsprechend ihr Alter zu bestimmen, waren detaillierte Analysen erforderlich, bei denen auch Methoden des maschinellen Lernens zum Einsatz kamen. Dabei gelang es den Forschenden, auf Basis des Gaia-Datensatzes die Metallizitäten von zwei Millionen hellen Riesen in den inneren Regionen unserer Heimatgalaxie zu bestimmen.

Mithilfe dieser Daten war es schließlich möglich, eine Population von sehr metallarmen Sternen und damit gleichsam das uralte Herz der Milchstraße aufzuspüren. Wie das Team im "Astrophysical Journal" berichtet, ermöglichen die von Gaia gelieferten Entfernungen auch eine 3D-Rekonstruktion, die zeigt, dass diese Sterne in der Tat vornehmlich in einer vergleichsweise kleinen inneren Region vorkommen, in Entfernungen von bis zu rund 15.000 Lichtjahren vom Zentrum.

Älter als 12,5 Milliarden Jahre

Diese Sternpopulation schreibt die frühere Studie von Xiang und Rix zu den Jugendjahren der Milchstraße unmittelbar fort: Die Sterne haben genau die richtige Metallizität, um die gesuchten Vorgänger jener metallarmen Sterne zu sein, die später die dicke Scheibe der Milchstraße bildeten. Daraus wiederum folgt eine Altersabschätzung, denn die Entstehung der dicken Scheibe konnten Xiang und Rix ja mithilfe der Unterriesen zuverlässig datieren: Das Herz der Milchstraße muss älter sein als 12,5 Milliarden Jahre.

Zusätzliche Spektraldaten, die für eine kleine Anzahl dieser Sterne verfügbar waren, sprechen dafür, dass die Sterne im "(metall)armen alten Herzen" direkt nach der Verschmelzung der ersten Proto-Galaxien zum ursprünglichen Kern der Milchstraße entstanden sind. Das Team hofft, eines Tages auf der Grundlage noch detaillierterer Daten feststellen zu können, welche Sterne in der Kernregion zu welchen der verschiedenen Vorläufergalaxien der Milchstraße gehören. (red, tberg, 21.12.2022)