Vom Polizisten-Prolo zum Super-Daddy. Florian David Fitz spielt die Hauptrolle und schrieb das Drehbuch für "Oskars Kleid". Die Kinder debütieren brilliant: Laurì als Oskar alias Lili und Ava Petsch als Erna.

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Ausgerechnet Alice Schwarzer hat den deutschen Filmemacher, Drehbuchautoren und Schauspieler Florian David Fitz zum Transgender-Familienfilm Oskars Kleid inspiriert. Wie er in dem Podcast "Hotel Matze" erzählt, traf er Schwarzer bei einer Talkshow. Dort habe die Feminismus-Ikone ihn gleich mal mit einem "Macho-Spruch" bedacht, als sie erfuhr, dass "so ein junger, gutaussehender Mann" auch Regie führt und Drehbücher schreibt. Ein paar Tage später traf bei Fitz ein "Alice Schwarzer-Care"-Paket ein, inklusive des Magazins Emma. Darin stieß Fitz dann auf ein Bild, das ihm die zündende Idee für seinen Film gab. Darauf: ein Vater und ein Kind, beide im Kleid.

Streitpunkt Selbstbestimmung

Die Geschichte unter dem Bild hat Fitz gar nicht gelesen, die wollte er sich selbst ausdenken. Hätte er sie gelesen, wäre es wohl ein anderer Film geworden, denn Emma und ihre Herausgeberin sind dafür bekannt, eine "transkritische" Haltung einzunehmen. In dem in Deutschland geplanten Selbstbestimmungsgesetz sieht Schwarzer eine Gefahr für Frauen und Frauenschutzräume. Das neue Gesetz soll das weithin kritisierte Transsexuellengesetz von 1980 ablösen, das noch bis Anfang der 2010er von Transpersonen ein gerichtliches Urteil, die Scheidung und Sterilisierung verlangte. Im Zentrum dieser heiklen Debatten um Geschlechtsidentität und Selbstbestimmung stehen oft die Kinder: Was kann ein Kind wann entscheiden? Wie sollen Eltern handeln? Genau diese Debatten hat Oskars Kleid im Hinterkopf und spielt sie durch, aber zur Abwechslung mal mit Humor und in erfreulich abgemilderter Drastik.

Mädchen oder nicht?

Oskar, der Sohn von Ben (Florian David Fitz) und seiner Ex-Frau Mira will neuerdings Lili heißen, trägt am liebsten ein gelbes Kleid und spielt gern "Salon" mit seiner (ihrer) kleinen Schwester Erna (Ava Petsch). Ben, der seine Vaterrolle nach der Scheidung vernachlässigt hat, erkennt seinen Sohn nicht wieder, als die Kinder erneut für einige Zeit bei ihm wohnen. Oskars Kleid landet prompt im Müll, doch Lili verlangt es zurück und trägt es, zu Bens Erstaunen, auch in der Schule, ohne gemobbt zu werden.

Nach einem Besuch beim Kinderpsychologen recherchiert Ben Informationen über Transgeschlechtlichkeit und stößt schnell auf Youtube-Videos, worin das Thema als gefährlicher Modetrend bezeichnet wird. Nun verdächtigt er seine Ex Mira, den Sohn manipuliert zu haben. Doch der hochschwangeren Mutter ist das Argumentieren über den Kopf ihres Kindes hinweg bald leid. Sie akzeptiert es einfach. In der Schule ist Oskar bereits als Lili gemeldet, weswegen sie auch nicht geschnitten wird wie in der Vorgängerschule.

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100 Prozent Deutsch

Was für Lili, Erna, Mira und ihren neuen kubanischen Lebensgefährten schon zur Normalität geworden ist, stellt Ben vor eine Zerreißprobe. Als gutbürgerlicher Sohn aus jüdischer Familie kennt er das Anderssein nur zu gut. Er selbst hat als Kind gegen seine religiöse Identität und gegen den intellektuellen Anspruch seines Vaters (Burghart Klaußner) rebelliert und identifiziert sich zu 100 Prozent als "Deutscher": Mann, Polizist und semitrockener Alkoholiker. Doch Großvater und Großmutter (Senta Berger) sind weniger von Oskars Kleid irritiert, als sie von Lilis Intelligenz angetan sind. Auch dem Rabbi geht es so, der Lilis Sorgen beruhigt: Auch Gott kann einmal einen "Fehler" machen, aber seine "Fehler" liebt er ganz besonders.

Drehbuchautor und Hauptdarsteller Fitz ist gemeinsam mit Regisseur Hüseyin Tabak ein mutiger und sehenswerter Familienfilm gelungen, der eines der umstrittensten Themen unserer Zeit in Komödienform zu verpacken sucht. Das gelingt oft, aber nicht immer: Manche Charaktere sind mit Identitätsentwürfen überfrachtet, manche Momente geraten etwas zu didaktisch und gut gemeint. Das betrifft vor allem Fitzs Figur Ben, der vom Macho-Tölpel in Windeseile zum einfühlsamen und besten Vater der Welt mutiert. Oskar alias Lili, die mit Tiefgang von der Transdarstellerin Laurì verkörpert wird, fristet eher ein Randdasein als Fels in der Brandung. Das ist schön und schade zugleich, denn gerade ihre Identität ist es, die auf dem Spiel steht. Oder etwa nicht? (Valerie Dirk, 21.12.2022)