Wale sind äußerst mobile Meeresbewohner und ausgesprochen gute Navigatoren. Immer wieder geben aber Strandungen der Tiere Rätsel auf. So etwa im vergangenen September in Tasmanien: In einer Bucht der australischen Insel wurden damals 230 Grindwale gefunden, nur 30 Tiere konnten gerettet werden. Viele Walarten leben in sozialen Gruppen mit starker Bindung, manche Forschende vermuten schon länger, dass möglicherweise ein einziges orientierungsloses Tier genügt, um eine ganze Gruppe in flache Gewässer zu führen. Aber auch einzelgängerische Wale unterschiedlichster Spezies verirren sich immer wieder in gefährliche Küstennähe. Was sorgt bei den Tieren für Verwirrung und Orientierungslosigkeit?

Entwickeln auch Delfine Alzheimer? Forschende fanden typische Marker in den Gehirnen mehrerer gestrandeter Tiere.
Foto: AP/Chris O'Meara

Erklärungsansätze für das fatale Verhalten gibt es viele. So könnten Unterwasserlärm, Fischerei und klimatisch bedingte Veränderungen der Ozeane ebenso mitverantwortlich sein wie Sonnenstürme, die das Erdmagnetfeld stören: Vor allem weitwandernde Arten dürften sich auch am Magnetfeld orientieren. Ein schottisches Forschungsteam legt nun Hinweise auf eine weitere mögliche Ursache vor: Möglicherweise leiden ältere Wale auch an Demenz. Wie das Team um Marissa Vacher und Mark Dagleish im "European Journal of Neuroscience" berichtet, fanden sie in den Gehirnen von gestrandeten Delfinen Veränderungen, die als typische Anzeichen von Alzheimer bekannt sind. Betroffen waren demnach ein Weißschnauzendelfin, ein Grindwal und ein Großer Tümmler.

Gestrandete Grindwale auf Tasmanien.
Foto: APA/AFP/Department of Natural Resources

Neuronale Auffälligkeiten

Für ihre Studie untersuchten die Forschenden insgesamt 22 Zahnwale, die in schottischen Küstengewässern gestrandet waren. Die Gehirne von drei älteren Tieren wiesen demnach typische Alzheimer-Marker auf: So wurde eine erhöhte Anzahl an sogenannten Amyloid-Plaques festgestellt, das sind Ablagerungen in der Hirnsubstanz, die bei der Alzheimer-Krankheit in großer Dichte vorkommen und beim Menschen auch als eines der frühesten Anzeichen für die Erkrankung gelten. Zudem wurden in Nervenzellen derselben Tieren auffällig hohe Werte eines veränderten Proteins festgestellt, das die neuronale Funktionsfähigkeit beeinflusst und ebenfalls mit Alzheimer in Verbindung steht.

Für Tara Spires-Jones von der Universität Edinburgh, eine der Autorinnen der Studie, eröffnen die Ergebnisse wichtige neue Forschungsfragen. "Wir waren fasziniert von den Gehirnveränderungen dieser älteren Delfine, die denen von Alzheimer-Patienten ähneln. Ob diese pathologischen Veränderungen dazu beitragen, dass diese Tiere stranden, ist eine interessante und wichtige Frage für zukünftige Arbeiten."

Alterungsprozess oder schädliches Tauchen?

Auch Studienleiter Mark Dagleish von der University of Glasgow betont, dass es weitere Forschungen braucht. Es sei zwar naheliegend zu spekulieren, dass diese Hirnveränderungen bedeuten, dass auch Wale an Demenz und kognitiven Defiziten leiden könnten, die mit der Alzheimer-Krankheit beim Menschen verbunden sind, sagte der Wissenschafter. "Aber es muss noch mehr geforscht werden, um besser zu verstehen, was mit diesen Tieren geschieht."

Ein möglicher Grund dafür, dass Wale und Delfine Alzheimer-ähnliche Hirnläsionen aufweisen, ist, dass sie – wie der Mensch, aber anders als viele andere Tiere – noch viele Jahre leben können, nachdem sie ihre Fortpflanzungsaktivität eingestellt haben. Eine weitere mögliche Ursache wurde in einer Studie aus dem Jahr 2020 aufgezeigt, die ergab, dass tief tauchende Schnabelwale aufgrund der Hypoxie, das heißt des niedrigen Sauerstoffgehalts in ihrem Körpergewebe, der durch die Nahrungssuche in der Tiefsee verursacht wird, anfälliger für Alzheimer-ähnliche Pathologien sind.

Dass die Meeressäuger Alzheimer-artige Gehirnveränderungen entwickeln, könnte nach Ansicht des Forschungsteams mit einer Gemeinsamkeit zusammenhängen, die sie mit uns Menschen haben: Auch Wale können alt werden und deutlich länger leben, als sie fortpflanzungsfähig sind. Denkbar wäre aber auch, dass vor allem Spezies, die bei der Nahrungssuche tief tauchen, durch den zeitweise niedrigen Sauerstoffgehalt in ihrem Körpergewebe anfälliger für die Gehirnschäden sind. (dare, 23.12.2022)