Ella war mit ihren vier Monaten schon zehn Mal im Parlament. Ihre Mama Elisabeth Feichtinger ist Nationalratsabgeordnete.

Foto: APA / Robert Jäger

Realtalk nennt man in den sogenannten sozialen Medien das, wenn es mal nicht nur glattgefilterte eindrücke vom "schönen" Leben gibt, sondern wenn es zur Sache geht, also um das "echte" Leben. Das ist nicht immer schön. Wenn das dann vom digitalen Bilderbuch Instagram auf Twitter verfrachtet wird, ist es schnell gleich noch weniger schön. Real Life. Echtes Leben.

ÖVP-Abgeordnete Johanna Jachs hat eine dreieinhalbjährige Tochter namens Franziska.
Jachs/Instagram

Johanna Jachs, 31-jährige ÖVP-Nationalratsabgeordnete aus Oberösterreich, postete diese Woche so einen Schnipsel echtes Leben (siehe Foto rechts). Nämlich wie es ist, wenn man als alleinerziehende Politikerin ein kleines Kind, das krank ist, und einen Kalender voller Termine jonglieren muss: "Auch wenn es hier manchmal so scheint, als ob ich das alles im Griff hätte ... das ist nicht der Fall."

Ein User postete das Insta-Foto auf Twitter und kommentierte: "Als alleinerziehende Mutter, mit knapp 10.000 € im Monat, hat man es nicht immer leicht. Das ist schon ein sehr schweres Schicksal." Der Tenor darunter war recht einmütig: "Oams Mutschgale." "Tränendrüsendrückerei." "Was für ein ahnungsloses Pupperl." "Eine Tagesmutti engagieren bei diesem Salär kommt nicht in den Sinn?" "Was für ein Trutscherl." "Eine Runde Mitleid."

Ein paar Postings konterten der "Häme". "Auch mit hohem Einkommen ist es dzt. mühsam mit Kind. Vielleicht möchte die Dame ja auch für Ihr Kind da sein, vielleicht sind die Nächte anstrengend, vielleicht ist man selbst ständig halb krank ..." Ein anderer schrieb: "um fair zu bleiben ... ich kann das schon verstehen ehrlich gesagt." Und noch einer meinte: "Ich wette, dieselben Menschen hätten sich echauffiert, wenn sie eine ext. prof. Betreuung für ihr krankes Kind hätte."

Wie sie es also macht, macht sie es falsch. Jachs – ihre Tochter Franziska ist dreieinhalb – erzählt im STANDARD-Gespräch, dass sie mit ihrer Insta-Story "sicher kein Mitleid" wollte, sondern nur "uns Eltern wieder einmal sagen, was wir Großartiges leisten, gerade jetzt umso mehr, wo alle Kinder dauernd krank sind." Aber auch wenn sie einkommensmäßig "extrem privilegiert" sei, lösten sich dadurch nicht alle Probleme automatisch in Luft auf. Ihre Mutter, die Oma, ist selbst noch voll berufstätig, die Uroma ohnehin fixer Pfeiler im familiären Betreuungsnetz, aber auch die fällt mal aus.

Der Kindsvater, der steirische FPÖ-Abgeordnete Hannes Amesbauer, und seine Eltern sind, 300 Kilometer entfernt wohnend, nur bedingt verfügbar im Alltag. "Natürlich wäre ein Babysitter möglich, aber mein Kind ist jeden Tag bis 16 Uhr fremdbetreut. Für ein Au-pair braucht man auch die räumlichen Möglichkeiten. Ich habe mehrere Abendtermine pro Woche. Da ist es mir lieber, die vertraute Oma bringt sie ins Bett", sagt Jachs. "Es bleibt immer ein Gewissenskonflikt, weil man so viel Zeit wie möglich mit dem Kind verbringen möchte."

Mutterschutz auch für Politikerinnen

Zumindest rund um die Geburt würde sie sich diese Zeit als Recht wünschen – also Mutterschutz auch für Politikerinnen. Dafür setzt sich die Juristin schon lange ein. Nur mit zeitgemäßen Rahmenbedingungen könne der noch immer geringe Frauenanteil in der Politik gehoben werden: "Junge Frauen sollen sich nicht zwischen Politik oder Familie entscheiden müssen. Das ,und’ muss selbstverständlich werden."

Ein Thema, das Jachs selbst betroffen hat, als sie hochschwanger zu einer Abstimmung über ein Gesetz im Verfassungsrang nach Wien musste, ist die Frage nach Vertretungsregelungen oder Stimmübertragungen. Dafür sieht der Verfassungsjurist Heinz Mayer jedoch keinen Spielraum: "Wer gewählt ist, muss persönlich abstimmen. Was man zulassen könnte für diverse Verhinderungsgründe, wäre eine elektronische Abstimmung. Das wäre aus der Entfernung machbar."

Julia Seidl hat eine einzige Plenumssitzung versäumt, direkt nach der Entbindung, erzählt die 41-jährige Neos-Abgeordnete. Bei der Angelobung im September 2021 war sie hochschwanger, ab Jänner wieder voll da: "Für Mütter ist das schon ein gewisser Druck, wenn das Kind krank ist, dann ist man halt selber gern beim Kind, zugleich weiß man um die Verantwortung als gewählte Mandatarin. Da hat man nach allen Seiten ein schlechtes Gewissen."

Neos-Abgeordnete Julia Seidl ist Mutter eines einjährigen Sohnes.
FOTOKERSCHI.AT/WERNER KERSCHBAUM

Pflegeurlaub gibt es für Politikerinnen ebenso wenig wie Karenz, das kennt Seidl als Selbstständige mit einer Werbeagentur von früher. Vertretungen sind nur in Ausschüssen möglich, was bei ihr und den Neos im Klub "gut funktioniert".

Für die Tirolerin – ihr Sohn ist ein Jahr alt, ihre Lebensgefährtin in Karenz – bildet die Twitter-Debatte jedenfalls das "verschobene Bild von Politik" ab: "Viele glauben, dass die politische Arbeit mit der Sitzung erledigt ist, aber der Großteil der politischen Arbeit findet abseits davon statt, und dann ist es halt so wie bei anderen berufstätigen Eltern auch: Es passiert immer alles gleichzeitig. Aber Zeit kann man nicht kaufen. Und dann hat auch jemand, der viel verdient, das Recht zu sagen: Manchmal ist es einfach viel."

Der "Stillskandal" im Parlament

Vor 32 Jahren war die bloße Anwesenheit eines Babys im Hohen Haus so manchem Herrn schon zu viel. Damals, 1990, brachte Christine Heindl als erste Frau das Thema Kind buchstäblich ins Parlament. Es wurde ein kleiner Skandal. Als die Burgenländerin im Rahmen der Angelobung als Abgeordnete der Grünen ihren Sohn stillte, rügte sie der damalige Nationalratspräsident Rudolf Pöder (SPÖ) für die "unzumutbare Belastung für das Kind", laut Protokoll mit "Beifall" quittiert. Seine Sorge, so erzählte Heindl in einem STANDARD-Interview, war: "Das arme Baby, diese schlechte Luft im Parlament." Der Präsident schlug ihr vor, das Kind "heute" dem Parlamentsarzt "in Obhut zu geben" und ansonsten "Vorsorge für eine anderweitige Betreuung zu treffen".

Seither hat sich viel geändert und doch noch immer nicht genug, meint die langjährige ehemalige ÖVP-Spitzenpolitikerin Maria Rauch-Kallat. Sie hat oft erlebt, wie Männer Frauen erklärten, wie sie ihren Job machen sollen, ob als Politikerin oder lieber noch als Mutter. Allerdings, sagt sie: "Dass wir so junge Politikerinnen haben, ist ein Phänomen der letzten zwanzig Jahre, davor kam man als Frau ohnehin fast nie vor 50 ins Hohe Haus oder in hohe politische Ämter. Und bei den Männern in der Politik waren Kinder kein Thema, weil das eh die Frauen daheim erledigt haben."

Die erste Ministerin, die im Amt schwanger wurde, war Karin Gastinger. Die für Justiz zuständige BZÖ-Politikerin gebar 2006 ihren Sohn.

Selbstverständlich mit Baby im Hohen Haus

Im neu sanierten Parlament gibt es jedenfalls ein Still- und ein Spielzimmer. Vielleicht hat Elisabeth Feichtinger dabei eine Rolle gespielt. Denn die 35-jährige SPÖ-Abgeordnete aus dem Salzkammergut hat 2019, schwanger mit Tochter Lea, im Ausweichquartier in der Hofburg ein Ruhe- und Stillzimmer initiiert. Damals haben sie und die ebenfalls gerade schwangere Jachs an langen Sitzungstagen da oft gemeinsam eine kleine Ruhepause eingelegt.

SPÖ-Abgeordnete Elisabeth Feichtinger mit ihrer Tochter Ella im Nationalrat.
Foto: APA / Robert Jäger

Vor einer Woche hat ihre zweite Tochter, die viermonatige Ella, bereits ihren zehnten Tag im Parlament verbracht und wurde ganz unaufgeregt hinten im Sitzungssaal gestillt. "Ich nehme mein Kind mit, da ich stille. Leider sind Mütter in der Politik noch keine Selbstverständlichkeit." Sollten sie aber, denn auch Feichtinger, deren Mann in Karenz ging, macht immer wieder die Erfahrung doppelter Maßstäbe: "Bei Männern ist es eine Leistung, wenn sie Kinder bekommen, bei Frauen wird immer gefragt, ob wir dann noch genug Zeit haben für das Kind, die Familie, den Beruf, die Politik."

Die Vizebürgermeisterin von Altmünster, eine ausgebildete Volks-, Sonderschul- und Religionslehrerin, und ihr Mann kümmern sich um vier Kinder: Emily (15) und Clara (14), Großcousinen der Abgeordneten, für die das Ehepaar die Obsorge hat, sowie die Töchter Lea (3) und Ella.

"Wenn man mehr junge Frauen in der Politik will, müsste man auch für entsprechende Rahmenbedingungen sorgen", sagt Feichtinger. Mutterschutz auch für Politikerinnen halte sie wie Jachs für "echt wichtig", ein Parlamentskindergarten für alle dort Tätigen, den auch Seidl begrüßen würde, wäre "eine wünschenswerte Sache".

Hat sie einen Ratschlag an Mütter, egal, ob in der Politik oder sonst wo? "Einfach den eigenen Weg gehen und schauen, was tut mir und meinem Kind gut. Niemand weiß das besser als man selbst." (Lisa Nimmervoll, 23.12.2022)