Bestechend kluge Weltbeobachterin und brillante Stilistin: Virginia Cowles (1910–1983).

Foto: Angus McBean Photograph, Harvard Theatre Collection, Houghton Library, Harvard University

Solch fulminante Wiederentdeckungen wünschte man sich mehr. Ja zuhauf! Da brach 1937 eine zierliche, mittelgroße Mittzwanzigerin aus den USA nach London auf. Um von dort aus Europa zu bereisen. Um über Europa zu berichten. Bis dato hatte sie nichts Politisches geschrieben, vielmehr in New York als "Society Girl" Society-Kolumnen verfasst.

Aber: Virginia Cowles entpuppte sich vier Jahre lang als erstklassige Reporterin. Als sie im Frühherbst 1941 auf einem Anwesen von Freunden sechzig Kilometer von London entfernt ihre Reportagen und Aufzeichnungen zu einem umfangreichen Buch zusammenführte – Looking for Trouble erschien noch im selben Jahr und wurde zum Bestseller –, da war sie zur bestechend klugen Weltbeobachterin geworden.

Humane Kraft

Dabei war sie 1937 bei ihrer ersten Station, in Madrid, noch in High Heels und im Pelzmantel gelandet. Was die freie Journalistin dann in der Tschechoslowakei sah und erlebte, in Hitler-Deutschland, in Mussolinis Rom, in Frankreich und London, in Rumänien und im finnisch-russischen Winterkrieg, das hatte mit Fortune viel zu tun, mit der Eigenschaft, zur richtigen Zeit am genau richtigen Ort zu sein.

Zu tun hatte es aber auch mit der Liebenswürdigkeit und dem großen Charme, der an einen jungen Engländer erinnert, der einige Jahre vor Cowles, 1933/34, Europa zu Fuß durchwanderte, an den jungen Patrick Leigh Fermor, der über dieses europäische Abenteuer Jahrzehnte später stilistisch herausragende Bücher verfassen sollte.

Höhere Kreise

Cowles verkehrte schier selbstverständlich in höheren und höchsten, in großbürgerlichen, aristokratischen, diplomatischen Kreisen. So gibt es eine Fülle an hinreißenden aussagestarken Vignetten und Porträts in diesem bezirzend gut geschriebenen Buch, von Ministern, mit denen sie exklusiv dinierte, von Mussolini, der ihr ein Interview gewährte – dabei hatte sie niemals zuvor ein Interview geführt.

Es gibt faszinierende Moment- wie überzeitliche Aufnahmen von großen wie kleinen Despoten, von Mut und humaner Kraft, von tiefster Verzweiflung wie von sardonisch-galligem Humor. Und von englischem Durchhaltewillen. Einzig der Nachklapp ist pathetisch. Da, zu Papier gebracht im Herbst 1941, wenige Wochen somit vor dem Überfall auf Pearl Harbor, beschwor sie ihr amerikanisches Publikum, Partei zu werden, Kriegspartei, aktiv für Freiheit und Demokratie zu kämpfen.

Bühnenkomödie

Nach dem Krieg schrieb Cowles mit der befreundeten Kriegsreporterin und Autorin Martha Gellhorn eine Bühnenkomödie, heiratete, publizierte Familienbiografien, etwa über die Rothschilds, schrieb historische und zeithistorische Monografien, über den letzten Zaren, über britische Spezialkräfte im Zweiten Weltkrieg, über einen Aktienschwindelskandal im achtzehnten Jahrhundert. Anfang September 1983 kam sie in der Nähe von Biarritz bei einem Autounfall ums Leben.

1995 fand sich in einer vorzüglichen Anthologie der Library of America mit Kriegsreportagen aus den Jahren 1938 bis 1944 ein Auszug aus Looking for Trouble, jenes haarsträubend unterhaltsame Kapitel über ihre Fahrt 1940 von Paris nach Tours am Tag der Besetzung von Paris durch die Deutschen. So gänzlich vergessen war also diese Reporterin nicht; ihr Buch über die Astors wurde 2017 neu aufgelegt. 2010 schrieb das Magazin The Spectator über das Buch, woraufhin der große Verlag Faber & Faber es zwei Jahre später nachdruckte und die Auflage von 2021 mit einem Essay von Christina Lamb begleiten ließ.

Virginia Cowles, "Looking for Trouble. Bericht einer unerschrockenen Kriegsreporterin". Mit einem Vorwort von Christina Lamb. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. € 28,80 / 640 Seiten. DuMont-Verlag, Köln 2022.
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Todesangst und Kuriositäten

Warum 2022 dieses achtzig Jahre alte Buch lesen? Weil es hinreißend geschrieben ist. Weil es hochspannend und enorm lebendig aus Zeiten des Vorkrieges und des Krieges berichtet. Weil man sich nicht vom Haupttitel, der einen gänzlich falschen Akzent setzt, irritieren lassen sollte noch vom noch falscheren Untertitel. Weder suchte Cowles aktiv nach "Trouble", noch war sie "unerschrocken".

Mit viel Selbstironie beschreibt sie beispielsweise zwei Flüge, einen in Libyen, einen entlang Nordenglands Küste, bei der sie jeweils in markerschütternde Panik und Todesangst verfiel. Natürlich ist es kurios, wenn sie einen ganzen Tag lang abgeschnitten von allen Nachrichten ist, wenn kein Telefon in der Nähe ist oder wenn als einziges Übertragungsmedium ein Fernmelder zur Verfügung steht, den zwei Dutzend Schreiber stundenlang umlagern. Worüber sie aber schreibt, ist: zeitlos. (Alexander Kluy, 26.12.2022)