Das einzig Stabile an Benjamin Netanjahus neuer Regierung ist der Entschluss, die israelische Gesellschaft zu spalten.

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Nach drei Jahren Dauerregierungskrise und fünf Neuwahlen hat Israel endlich Stabilität – wenn man darunter eine Regierung mit einer satten Parlamentsmehrheit versteht. Die neue Koalition nutzt diese stabile Mehrheit jedoch, um das Land zu destabilisieren. Und zwar mit einem Tempo, das wohl selbst hartgesottene Fatalisten nicht für möglich gehalten hätten.

In Zukunft haben alle in Israel lebenden Menschen, die nicht fromme, männliche, heterosexuelle Juden sind, gute Gründe, um sich in ihrem Land weniger sicher zu fühlen als zuvor. Die neue Regierung aus rechten, rechtsextremen und ultraorthodoxen Parteien hat sich eine Agenda gesetzt, die den Vorstellungen einer kleinen, radikalen Minderheit entspricht. Die Mehrheit möge sich diesem Wertekorsett fügen.

Sicherheit von Frauen ist Nebensache

Obwohl allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres zwölf israelische Frauen von Männern in ihrem Umfeld ermordet wurden und häusliche Gewalt epidemische Auswüchse annimmt, erklärt die neue Regierung die Sicherheit von Frauen zur Nebensache. In den Koalitionsvereinbarungen von Benjamin Netanjahus Likud-Partei mit den rechtsextremen Religiösen Zionisten findet sich nur ein einziger Punkt, der das Thema Gewalt gegen Frauen anspricht: und zwar in der gemeinsamen Erklärung, dass Israel der Istanbul-Konvention zum Schutz vor genderbasierter Gewalt nicht beitreten wird.

Die Konvention wurde von allen EU-Staaten unterzeichnet, auch Israel hatte die Absicht geäußert, sich dem vereinten Kampf gegen Femizide und Partnergewalt anzuschließen. Daraus wird nun nichts, entschieden die – natürlich männlichen – Koalitionsverhandler.

Ungebremste Diskriminierung

Jede Menge Schutz wird hingegen jenen Ärzten, Notaren, Vermietern und Geschäftsleuten zuteil, die ihre Kunden, Klienten und Patienten gerne ungebremst diskriminieren möchten. Bislang war eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit verboten. Die künftig mitregierenden Religiösen Zionisten halten das jedoch für eine unzumutbare Einschränkung der Religionsfreiheit. Sie wollen Ärzten die Wahl überlassen, wen sie lieber nicht behandeln, weil es ihrer religiösen Auffassung widerspricht: Die unverheiratete Frau, die gerne schwanger werden möchte, die verheiratete Frau, die nach dem siebten Kind gerne dem Gebären ein Ende setzen würde, der schwule Mann mit dem Bandscheibenvorfall – sie müssen sich sagen lassen, dass ihre bloße Identität angeblich die "religiösen Gefühle" mancher Ärzte verletzt. Diese Gefühle sind dem Gesetzgeber wichtiger als das Recht aller Menschen auf mentale und körperliche Gesundheit.

Sehnsucht nach Stabilität

Der Dauerzustand der Regierungskrise, noch dazu mitten in der Pandemie, weckte bei vielen Israelis die Sehnsucht nach Stabilität. Israel hat nun eine Regierung. Doch das einzig Stabile an dieser neuen Koalition ist ihr vereinter Entschluss, die israelische Gesellschaft zu spalten und das Trennende vor das Gemeinsame zu stellen. (Maria Sterkl, 26.12.2022)