Als Suheib Y. im Oktober 2021 in Österreich strandet, weiß noch niemand, mit wem man es da eigentlich zu tun hat. Konkret kommt er als Flüchtling über die burgenländische Grenze ins Land. Der gebürtige Palästinenser beantragt Asyl und wird in eine Geflüchtetenunterkunft in Eisenstadt verlegt. Y. hatte sich mit einer Tarnidentität registriert – wohl aus gutem Grund. Schließlich ist er der Sohn eines Mitbegründers der islamistischen Hamas-Terroristen im Gazastreifen, die den Staat Israel vernichten wollen.

Allerdings soll Y. der eigenen Organisation vor einigen Jahren in den Rücken gefallen sein. Aber dass er sich von der Hamas tatsächlich losgesagt hat, nehmen ihm die Ermittler in Österreich nicht ab. Deshalb muss sich Suheib Y. bald vor dem Straflandesgericht Eisenstadt verantworten, wie die "Salzburger Nachrichten" zuerst berichteten.

Ein mutmaßlicher "Geldsammler"

Die Eisenstädter Staatsanwaltschaft klagte den Mann wegen terroristischer und krimineller Vereinigung an. Das sorgt in der burgenländischen Landeshauptstadt derzeit durchaus für Strapazen. Das Gericht muss sich ein Sicherheitskonzept überlegen. Ein brisanter Fall vom Kaliber eines Suheib Y. ist in Eisenstadt keine Alltäglichkeit. Ein fixer Verhandlungstermin steht noch nicht fest – Ende Februar soll es aber so weit sein. Der Anwalt des Angeklagten wollte dem STANDARD zur Causa noch gar nichts sagen.

Auf Y. wurde der österreichische Staatsschutz schließlich durch einen Hinweis aufmerksam. Mittels biometrischer Gesichtserkennung konnten Ermittler innerhalb weniger Tage den Verdächtigen ausforschen – er kam in Untersuchungshaft. Warum Suheib Y. ausgerechnet nach Österreich gereist ist, bleibt für die Sicherheitsbehörden noch ein Rätsel. Anhand seiner Finanzströme will der Staatsschutz aber Indizien dafür gesammelt haben, dass der Verdächtige weiterhin mit der Hamas in Verbindung stehen soll. Konkret dürfte er als "Geldsammler" für die Terrororganisation aktiv gewesen sein und auch für neue Finanzkanäle gesorgt haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Erst heuer im Oktober nahmen Aktivisten der terroristischen Hamas an Protesten im Gazastreifen teil.
Die Umtriebe der Terrorgruppe beschäftigen einmal mehr die österreichische Justiz.
Foto: REUTERS/ MUSSA ISSA QAWASMA

Zweifelsohne ist der Name der Familie aber untrennbar mit den Hamas-Terroristen verbunden. Suheib Y.s Vater, ein bekennender Muslimbruder, ist einer der Mitbegründer der Hamas und befindet sich laut Medienberichten in israelischer Haft. Ein Bruder des Angeklagten war zunächst selbst ein Teil der Hamas, ehe er innerhalb der islamistischen Bewegung über Jahre als Informant für den israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet unterwegs gewesen sei und so Anschläge verhindert habe, wie es heißt; er sei dann in die USA geflüchtet. Und auch Suheib Y., der sich zwischenzeitlich nach Asien abgesetzt haben dürfte, wandte sich öffentlichkeitswirksam gegen die Organisation seines Vaters.

Der Fall Abdelkarim Abu H.

In einem Interview mit einem israelischen Nachrichtensender soll Y. einmal gesagt haben: "Hamas-Führer (in der Türkei) leben in schicken Hotels und Luxustürmen, ihre Kinder lernen an Privatschulen, und sie werden von der Hamas sehr gut bezahlt. Sie bekommen zwischen vier- und fünftausend Dollar im Monat, sie haben Wachen, Schwimmbäder, Country-Clubs." Und weiter: "Als ich in der Türkei lebte, war ich schockiert über das Verhalten der Hamas-Mitglieder. Sie aßen in den besten Restaurants, ich sah sie an Orten essen, wo ein Gang 200 Dollar kostete." Suheib Y. habe beklagt, dass eine Familie in Gaza im Gegensatz dazu lediglich von 100 Dollar im Monat leben müsse. Er soll auch davon erzählt haben, für den politischen Zweig der Hamas in der Türkei tätig gewesen zu sein. Dieser sei unter anderem dazu benutzt worden, Kämpfer – darunter auch Kinder – für Anschläge zu rekrutieren.

In einem Interview mit dem Ö1-"Mittagsjournal" erklärte der Pflichtverteidiger des Angeklagten am Donnerstag, dass sein Mandant angebe, eigentlich für den israelischen Geheimdienst Mossad gearbeitet zu haben. Auch das besagte Interview sei im Auftrag des Mossad erfolgt, um der Hamas zu schaden.

Der Fall Suheib Y. ruft zugleich aber auch jenen von Abdelkarim Abu H. wieder in Erinnerung. Der gebürtige Palästinenser stellte Ende März 2016 einen Asylantrag in Österreich. Nur wenige Monate später soll er zwei Palästinenser aus dem Westjordanland unabhängig voneinander via Facebook-Messenger und Whatsapp dazu angestiftet haben, Mordanschläge mit einer oder mehreren Handgranaten in Jerusalem durchzuführen. Die beiden Männer konnten aber schon bei ihrer Einreise in Israel festgenommen werden. Israelische Ermittler forschten Abdelkarim Abu H. über die sichergestellten Mobiltelefone der Verdächtigen als Drahtzieher aus. In Österreich wurde Abu H. im April 2018 schließlich rechtskräftig zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. (Jan Michael Marchart, 29.12.2022)