Die Physikerin Jess Wade hat in fünf Jahren mehr als 1.750 Online-Biografien auf Wikipedia verfasst – statistisch mehr als 350 pro Jahr, also etwa einen Artikel pro Tag.
Foto: Imperial College London

Dass es in der Wissenschaft zu wenige Frauen gibt, ist seit Jahrzehnten ein weithin bekanntes Problem. Mindestens ebenso bedenklich ist für die britische Physikerin Jess Wade die mangelnde Sichtbarkeit von Wissenschafterinnen: "Wir haben nicht nur zu wenige Frauen in der Wissenschaft, sondern wir tun auch nicht genug, um die, die wir haben, zu feiern", sagt Wade.

Als Wade vor fünf Jahren mehr über die US-Klimawissenschafterin Kim Cobb erfahren wollte, stellte sie fest, dass es keinen Wikipedia-Eintrag über die renommierte Forscherin gab. Wade legte kurzerhand selbst einen an – und hat inzwischen über 1.750 Biografien von Wissenschafterinnen in der Online-Enzyklopädie verfasst.

Popsongs statt Wissenschaft

Wikipedia ist für seinen sexistischen Bias bekannt, und so werden Wades Einträge nicht immer mit Begeisterung aufgenommen: Zig Biografien von Forscherinnen, die Wade verfasst hatte, wurden mit dem Hinweis gelöscht, dass die jeweilige Wissenschafterin nicht ausreichend relevant sei. "Wenn eine Seite zur Löschung angefochten wird, ist das nicht nur ärgerlich, weil die eigene Arbeit gelöscht wird", kommentiert Wade die Debatte. "Es ist auch unglaublich entwürdigend, wenn darüber diskutiert wird, ob jemand bemerkenswert genug ist, um auf Wikipedia zu stehen – einer Website, die Seiten über fast jeden Popsong hat und über Leute, die Statisten in Filmen sind, von denen noch nie jemand gehört hat."

Ausgezeichnete Materialforscherin

In verschiedenen Initiativen setzt sich Wade für mehr Frauen in den Ingenieur- und Naturwissenschaften ein und gegen Sexismus in der Wissenschaft. Für ihr Engagement wurde sie bereits mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht, so verlieh ihr die britische Königin Elisabeth II. 2019 die British-Empire-Medaille. Vom Fachjournal "Nature" wurde Wade unter die zehn einflussreichsten Personen in der Wissenschaft 2018 gewählt – eine beachtliche Leistung, vor allem, wenn man bedenkt, dass Wade damals erst 30 Jahre alt war.

Ihr feministisches Engagement ist für Wade nur eine Freizeitbeschäftigung, hauptberuflich forscht die promovierte Physikerin am Imperial College London im Bereich der Kunststoffelektronik.

Vergangene Woche wurde ihr eine Förderung vom Imperial College London und der Universität Cornell in Ithaca gemeinsam zugesprochen, um Open-Source-Lehrinhalte für die Materialforschung aufzubauen. Man darf sicher sein, dass damit speziell Frauen angesprochen werden. (Tanja Traxler, 28.12.2022)