Schon eine kleine Dosis Fentanyl kann tödlich sein.
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Fentanyl ist ein hilfreicher, aber auch gefährlicher Stoff: Das Opioid, das synthetisch hergestellt wird, wirkt etwa 50-mal stärker als Heroin und mehr als 100-mal stärker als Morphin. Von Fachpersonal verschrieben, lindert es heftige Schmerzen, beispielsweise bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Auch bei Narkosen wird es verwendet. Doch der Missbrauch als Droge hat Folgen: In den USA bezeichnet die Drogenvollzugsbehörde DEA Fentanyl als die "tödlichste Drogengefahr für das Land".

Von dem Wirkstoff, der in Tablettenform, gespritzt, als Pflaster oder Nasenspray verabreicht wird, können zwei Milligramm genügen, um einen Menschen zu töten. Täglich sterben in den Vereinigten Staaten durchschnittlich mehr als 150 Menschen an einer Überdosis. Zu den berühmtesten Opfern zählt die Poplegende Prince. Die Behandlungsmöglichkeiten für die Abhängigen sind beschränkt. Texanische Wissenschafterinnen und Wissenschafter arbeiten jedoch aktuell an einem Impfstoff, der helfen soll. Durch die Vakzine hervorgerufene Antikörper sollen das Opioid im Blut abfangen, bevor es das Gehirn erreicht.

Tests an Mäusen und Ratten

Colin Haile und Therese Kosten von der Universität Houston im US-Bundesstaat Texas und ihr Team wollen ein Gegenmittel in Form eines Vakzins gegen Fentanyl gefunden haben. Haile erklärte vor einigen Wochen in einer Presseaussendung der Universität: "Unser Vakzin bewirkt die Produktion von starken Anti-Fentanyl-Antikörpern. Sie binden an das Fentanyl aus Drogenkonsum und verhindern so, dass es ins Gehirn aufgenommen wird. Die Ausscheidung erfolgt über die Nieren." Die gewünschte Konsequenz, so der US-Wissenschafter: "Auf diese Weise empfinden die Geimpften nicht mehr die euphorischen Effekte (von Fentanyl, Anm.) und bleiben einfach 'nüchtern'."

Vorerst sind dazu allerdings nur Daten aus Tiermodellen vorhanden. Nach Tests an Mäusen erprobten die US-Fachleute das Vakzin an männlichen und weiblichen Ratten. Die entsprechende wissenschaftliche Arbeit erschien Ende Oktober in der Fachzeitschrift "Pharmaceutics". "Immunisierte männliche und weibliche Ratten produzierten signifikante Wirkspiegel an Anti-Fentanyl-Antikörpern", schrieb das Autorenteam. Der analgetische Effekt des Opioids trat nicht auf, die Konzentration im Gehirn war nach der experimentellen Gabe des Schmerzmittels deutlich geringer.

Alternative Schmerzmittel

Nebenwirkungen bei den Tieren wurden nicht beobachtet. Dafür zeigte sich ein anderer Effekt, so Haile: "Die Anti-Fentanyl-Antikörper waren hochspezifisch für diese Substanz und zeigten keine Kreuzreaktion mit anderen Opioiden, zum Beispiel auch mit Morphin. Das bedeutet, dass ein Geimpfter weiterhin mit anderen Opioiden als Schmerzmittel behandelt werden könnte."

Als Antigen, welches das körpereigene Abwehrsystem zur Bildung von Antikörpern gegen Fentanyl anregen soll, dient bei dem experimentellen Impfstoff ein Fentanyl-ähnliches sogenanntes Hapten, das selbst noch zu keiner Immunreaktion führen kann. Es ist aber chemisch an ein ungefährlich gemachtes Diphtherie-Toxin angehängt, das bereits aus anderen Impfstoffen bekannt ist. Dadurch wird eine Immunreaktion gegen Fentanyl möglich. Hinzu kommt in dem Vakzin ein verstärkender Hilfsstoff aus E.-coli-Bakterien.

Probleme in der Behandlung

"Der Fentanyl-Missbrauch und Überdosierungen sind für therapeutische Interventionen ganz speziell herausfordernd", erklärte Studienautorin Therese Kosten. Die Substitutionsmedikamente, die es derzeit gebe, seien wegen der Art ihrer Wirkung nicht gut genug. Auch das Notfallmedikament Naloxon, das bei Opioidvergiftungen zum Einsatz kommt, sei nicht ausreichend effektiv bei einer akuten Fentanyl-Überdosis: "Oft muss es mehrfach verabreicht werden, um die tödlichen Folgen von Fentanyl zu verhindern."

Hier müsste man nach anderen Wegen suchen. Aktuell ist das Forschungsteam damit beschäftigt, für klinische Studien mit Probanden geeignete Impfstoffmengen zu produzieren. Dann sollen die ersten Probanden geimpft werden. Das Projekt wird auch vom US-Verteidigungsministerium finanziell unterstützt.

Kaum Missbrauch in Österreich

Weiterhin werden die USA von der bisher schwersten Suchtgiftkrise heimgesucht. 2021 dürften rund 108.000 Menschen an einer Überdosis gestorben sein – 17 Prozent mehr als im Jahr davor. Opioide waren zu 70 bis 80 Prozent an den Überdosierungen beteiligt. Nach Heroin stehen synthetische Opium-artige Stoffe aus der pharmazeutischen Industrie im Mittelpunkt der Krise. Gefährdete rutschten über die in den Vereinigten Staaten ehemals beworbenen Opioid-Schmerzmittel sowie lockere Verschreibungspraktiken der Ärzte in die Sucht, auch steigen Abhängige von Straßendrogen auf die Medikamente um.

In Österreich kommt Fentanylmissbrauch dem Schmerzmediziner Burkhard Gustorff vom Wiener Wilhelminenspital zufolge kaum vor: "Wir beobachten keinen Fentanyl-Missbrauch in unseren Notfallambulanzen oder auf der toxikologischen Intensivstation." Dies liege auch daran, dass in den USA oft Opioide in Situationen verschrieben werden, in denen sie in Europa nicht zum Einsatz kämen. So würden "Patienten mit Kopfschmerzen starke Opioide bekommen, obwohl sie in dem Fall nachgewiesen unwirksam sind", sagte Gustorff. (red, APA, 28.12.2022)